Zwar wirkt es komplett übertrieben, dass der Deutsche ein „I am Harry“ nicht verstehen soll, aber diese Darstellung der Verständigungsprobleme soll natürlich auch zeigen, dass nicht die Worte, sondern die Taten beide davon überzeugen, gute Menschen zu sein – man fühlt sich fast an „Enemy Mine“ (Geliebter Feind, 1985) von Wolfgang Petersen erinnert. Außerdem gilt es zumindest mal, die Charaktere geschickt zu wechseln, damit z.B. der Schlüsselträger an die Tür kommt; und es kommen kooperative Aktionen hinzu, in denen der eine den Hebel bedient und der andere in den Aufzug steigt. Obwohl das also den spielerischen Unterhaltungswert erhöht, gibt es weiter ärgerliche Inkonsequenzen oder kleine Bugs: Da soll man Sprengstoff zu einer porösen Mauer fahren, aber nach dem offensichtlichen Weichenwechsel kann man die Lore nicht mehr bedienen? Nicht nur die beiden sind spielbar, es gibt auch Passagen, in denen man mit einer Katze einem Vogel hinterher jagt, und so eine Speisekammer findet; auch der Piepmatz ist spielbar. All das sorgt für charmante Perspektivwechsel, aber eben auch für ein etwas kindliches Flair in der ernsten Thematik.
Hinzu kommen jedoch einige interessante Ansätze, die auf lange Sicht motivieren: Die Wahl der Foto-Motive, die Harry nach Hause schickt, wirkt sich z.B. auf die Antwort seiner Julia aus. Und Kurt kann die Briefe an seine achtjährige Tochter auf mehrere Arten schreiben, kann die
Wahrheit erzählen oder lügen, kann ihr Hoffnung machen oder sie eher ernüchtern – all das wirkt sich ebenfalls auf eines der sechs möglichen Enden aus. Schön ist auch, dass man beim Vervollständigen seiner Sammlungen authentisches historisches Material der Zeit betrachten kann – originale Fotos, Zeichnungen und Schaubilder. Außerdem gelingt es der Regie über die Kommentare der anderen Soldaten schrittweise, die vielen Perspektiven auf diesen Krieg hörbar zu machen – die Hoffnung auf ein schnelles Ende, die Frustration über die Sinnlosigkeit, den Hass auf den Feind, auf „Fritz“ oder „Tommys“, die Wut auf die Offiziere, die Kameradschaft untereinander, aber eben auch auf beiden Seiten die Sehnsucht nach Frau und Familie.
Valiant Hearts lässt grüßen
Trotzdem empfinde ich das ästhetisch gelungene Artdesign mit seinem Impressionismus inhaltlich kontraproduktiv. Ich fühle mich fast wie in einem Gemälde von Claude Monet (1840-1926), wenn ich durch diese flüchtig verschwommene Welt der Farbtupfer spaziere. Ja, das soll auch so sein, aber aber die Kulisse trägt mit ihrem freundlichen Stil, der harte Konturen verwischt, nicht gerade dazu bei, die Schrecken dieses Krieges aufzuzeigen – das Idyllische und Malerische überwiegt. Obwohl es auch sehr ernste Szenen wie die Erschießung eines gefangenen Soldaten oder das Stürmen durch Schützengräben bei Opfern links und rechts gibt, wirken diese emotional nicht stark genug, weil z.B. Trümmer, Blut & Co wie Konfetti aussehen. Und damit scheitert man an einem wesentlichen Aspekt dieses Ansatzes, weil man auf diese Art eher pädagogisch wertvoll als dramaturgisch schonungslos inszeniert. Manchmal fühlte ich mich fast wie in einem interaktiven
Kinder- oder Jugendbuch. Dabei müsste eine gute Regie den Finger viel stärker in die Wunde legen, denn hier wird immerhin die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ thematisiert, die mit ihren Verstümmelten, Verstörten und hundertausenden Toten in Schützengräben für kaltes Grausen sorgte.
Diese hässliche Fratze des Ersten Weltkrieges wurde schon 2007 in The Darkness gezeigt, als alptraumhafte Form der Hölle. Und selbst wenn man nicht so explizit draufhalten will, hätte man die Story wesentlich bedrückender inszenieren können: Man denke an das gelungene Anti-Kriegsspiel This War Of Mine. Hier fühle ich mich eher an den halbgaren Ansatz des gut gemeinten, aber ebenfalls zahnlosen Comic-Adventures Valiant Hearts: The Great War von Ubisoft erinnert. Das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass dieses Spiel von der britischen Filmproduktionsgesellschaft Aardman (Wallace & Gromit, Shaun das Schaf) sowie dem französischen Studio DigixArt entwickelt wurde, das 2015 von Yoan Fanise gegründet wurde – er arbeitete zuvor bei Ubisoft an Valiant Hearts.
Doch, wird er. Schau mal auf die Pro/Kontra-Seite (jetzt ist er auch bei den Mikrotransaktionen dabei):
Bandai Namco Entertainment Europe wird in Kooperation mit War Child UK einen Charity-DLC für 11-11: Memories Retold veröffentlichen. Die Einnahmen aus dem DLC sollen an die gemeinnützige Organisation, die Kindern in Kriegsgebieten helfen will, gespendet werden.
Aber ich hab ihn nicht beim Testen aktiviert. Und "dreist" halte ich angesichts des guten Zwecks für zu hart.
Frage speziell an Jörg als Tester:
Ich hab es auch schon den Kollegen von InsertMoin vorgehalten und nach dem lesen des Tests dieselbe Frage an dich: wieso wird der Charity DLC in keiner Weise erwähnt? Weder beim Thema "Mikortransaktionen" noch irgendwo im Text. Bei IM wurde mir erklärt, dass es schlicht vergessen wurde, da er für ganze 4 EUR tatsächlich keine eigenen Levels bietet, sondern schlicht zusätzlichen Sammelkram im Spiel integriert, der nochmal eine eigene kleine Story über Kriegskinder erzählt.
Mich würde da mal deine Meinung dazu interessieren, denn Charity Gedanke hin oder her, für 4 EUR ein paar Sammelobjekte zusätzlich ins Spiel zu bekommen, finde ich schon irgendwie etwas dreist.
Was sagst du dazu? Hast du diesen überhaupt dabei gehabt?