Veröffentlicht inTests

Anno 1800 (Taktik & Strategie) – Traumhaft schöner Aufbau

Nach den beiden Zukunftsausflügen geht es mit Anno 1800 wieder in die Vergangenheit. Diesmal konzentriert sich die Aufbau-Wirtschaftssimulation von Blue Byte und Ubisoft auf die industrielle Revolution. Mit einer wunderschönen Spielwelt, komplexen Produktionsketten und fast schon harmonisch wirkenden Seeschlachten kämpft Anno 1800 um den Aufbau-Thron. Mehr dazu in unserem Test.

© Ubisoft / Blue Byte Mainz / Ubisoft

Ein harmonisches Gesamtbild

Insgesamt greifen die (eher) neuen Elemente wie Arbeitskraft, Stadtattraktivität, Produktionsbuffs, Einfluss, Elektrizität, Expeditionen und Zeitung erstaunlich harmonisch und gut ineinander, ohne den Spieler zu sehr in eine gewollte Richtung zu drängen. Man hat mehr als genug Freiraum und Möglichkeiten, um sich in Anno auszutoben und eigene Schwerpunkte beim Aufbau zu setzen – schließlich kann man die Einflüsse der Schwerindustrie auch direkt mit Ornamenten „bekämpfen“. Oder man erhöht die Zufriedenheit der Bevölkerungsschichten, indem man gezielt die Produktivität der Betriebe reduziert, wodurch weniger gearbeitet wird, aber die Leute zufriedener sind. Oder man schert sich nicht um die Schönheit. Es gibt viele Stellschrauben in Anno 1800, von denen manche ziemlich gut in den Menüs versteckt sind und von der Tutorial-Kampagne nur unzureichend erläutert werden.

Seekämpfe und Diplomatie

[GUI_STATICIMAGE(setid=85755,id=92586423)]
Die Piratin versteckt sicher lieber in ihrer Festung und fährt mit ihren Schiffen immer im Kreis. © 4P/Screenshot

Kriegerische Konflikte mit Piraten oder anderen Mitspielern werden ausschließlich mit direkt steuerbaren Schiffen ausgetragen, die sich mit Items verbessern und modifizieren lassen. Die Kämpfe finden auf den normalen Karten statt und nicht auf separaten Schlachtfeldern wie in Anno 2205. Zunächst kämpft man mit Segelschiffen, die auf den Wind reagieren und dadurch stark angeschoben oder zurückgehalten werden können, und später mit dampfbetriebenen Kriegsschiffen. Die eigenen Schiffchen verfolgen gerne Piraten heroisch bis in den eigenen Tod in der Nähe der Piratenbasis. Es gibt zwar mehrere Verhaltensmodi der Schiffe, die aber verhindern nicht, dass sich die eigenen Schiffe ineinander verkeilen, störrisch zeigen oder heroisch ins Verderben manövrieren. Generell verhalten sich die KI-Mitspieler zu passiv und selbst eine von sechs Schiffen belagerte Piratin wagte es nicht, ihre zwölf Schiffe aus der Festung zu ziehen.

Gefechte an Land gibt es nicht, stattdessen bombardieren die Schiffe so lange den Hafen und zerschießen die Verteidigungskanonen, bis die Insel ihre Moral verliert und sich „ergibt“. Erringt man den Sieg, darf man sie als eigenständige Kolonie behalten (Abgabenzahlungen) oder man siedelt selbst auf der Insel, wobei vorher alles niedergebrannt und der natürliche Ursprungszustand wiederhergestellt wird.

[GUI_STATICIMAGE(setid=85755,id=92586414)]
Ein bisschen Diplomatie darf nicht fehlen … © 4P/Screenshot

Abseits der KI-Macken bleiben die Seeschlachten eher oberflächlich und gehören mit zu den Schwachpunkten – auch hier bleibt sich die Anno-Reihe treu. Ähnlich sieht es bei der Diplomatie aus: Die Möglichkeiten sind mit Handelsverträgen, Kriegserklärungen, Geschenken, Schmeicheln/Beleidigen, Aufgaben lösen etc. eher übersichtlich als komplex. Zumal manche Verhaltensweisen für Verwunderung sorgen, wenn man zum Beispiel die gesamte Flotte der Piratenfrau versenkt, sie aber trotzdem 100.000 Geld für einen Waffenstillstand verlangt. Kampfsystem und Diplomatie gehen in Ordnung, mehr aber nicht. Schön ist, dass man nach ausgehandelten Handelsverträgen bis zu sechs Anteile an den Inseln von anderen Spielern kaufen kann, die nach langer Zeit eine friedliche Komplettübernahme erlauben, sofern die Anteile vorher nicht zurückgekauft werden.

Die Krux mit der Kampagne

Anno 1800 bietet zum Verkaufsstart drei Spielmodi: Kampagne, Endlosmodus und Multiplayer. Die Kampagne ist der schwächste Teil des Trios, obwohl die familiäre Geschichte einer Händlerdynastie überraschend stark und persönlich beginnt. Ab dem dritten Kapitel verläuft sich die Story in der Neuen Welt bevor sie dann überhastet und zu schnell endet. Mehr als fünfzehn Stunden (je nach Spielertyp und Nutzung der Zeitbeschleunigung) sollte man nicht einplanen.

[GUI_STATICIMAGE(setid=85755,id=92586422)]
Präsentation und Inszenierung der Kampagne sind für ein Aufbau-Strategiespiel sehr gelungen. © 4P/Screenshot

Schön anzusehen sind die aufwändigen Kameraflüge als Zwischensequenzen, obgleich sie stark an der Performance zerren. Auch die Sprengung eines Berges, Mini-Entscheidungen und mehrere kleinere Nebenmissionen sind gelungen, nur irgendwie kommt die Kampagne zu einem Ende, bevor die industrielle Revolution und das Endgame mit seinen ganzen Herausforderungen ausbricht, wodurch zugleich nur einen Bruchteil der neuen Spielsysteme vorgestellt wird. Dafür darf man die Kampagnenkarte nach dem Ende (endlos) weiterspielen. Apropos Tutorial: Anno-Neulinge können vor jeder Partie eine umfassendere Hilfefunktion aktivieren; Veteranen können diese Option deaktiveren.

Irgendwie ist es bedauerlich, dass man die industrielle Revolution in der Kampagne nicht erlebt, denn sowohl Inszenierung als auch die persönliche Story sind stellenweise überragend in dem Genre. Im Prinzip sind solche kleinen Geschichten ja gar nicht verkehrt, aber vielleicht wäre es besser gewesen, mehrere Mini-Kampagnen oder alternativ Szenarien mit Kurzgeschichten zu liefern. So hätte man spätere Spielstufen mit dem Bau eines Zoos oder der Elektrifizierung einer Stadt als Ziele einplanen können. Im Vergleich zu den guten Kampagnen aus Anno 1404 mit dem „imperialen“ Kardinal Lucius oder der Tiefsee-Erweiterung aus Anno 2070 zieht man klar den Kürzeren.

Zum Glück ist die Kampagne nur ein kleiner Teil des Gesamtpakets, das natürlich zu Anno dazugehört, jedoch kein essentielles KO-Kriterium ist. Viel wichtiger ist der Endlosmodus sowie der Multiplayer – und hier trumpft Anno 1800 richtig auf.

  1. SethSteiner hat geschrieben: 29.04.2019 17:31sei es dass es kein Saatgut gibt
    Es gibt Saatgut, du kannst das bei den Händlern kaufen oder von zerstörten Schiffen erbeuten. Nur musst du es jetzt in die Trade Union (wäre Gewerkschaft in Deutsch?) setzen, es ist nicht für die gesamte Insel gültig. Mit dem freien platzieren von Feldern kannst du aber regelrechte Hubs von Plantage bauen, die von endlosen Feldern umgeben sind.
    Finde ich gut, Zeugs wie Saatgut war ein bisschen zu einfach in Anno 1404.
    SethSteiner hat geschrieben: 29.04.2019 17:31oder dass man keinen Map Seed auslesen kann
    Kann sein, dass das später per Patch kam, aber sowohl Seed als auch speichern der Map-Einstellungen in eine Datei ist jetzt möglich :D
    Im jetzigen Patch und mit DX11 habe ich jetzt kaum Bugs gefunden.

  2. Hab jetzt zwei Spiele durch, Kampagne und eins gegen die höheren KIs, und heilige scheiße, das Spiel ist so verdammt gut. Anno 1404 war bereits ein grandioses Spiel mit kleineren Macken (Noria-Klickorgie >_> oder keine shift-Befehle), aber Anno 1800 ist praktisch das, mit solchen Problemen gelöst und ein bischem mehr Komplexität.
    Und das ganze sieht natürlich wunderschön aus. Technische Probleme hatte ich eigentlich nur mit DX12, sobald ich auf DX11 zurückgeschaltet hatte, lief es eigentlich ziemlich gut. Einzig ein Bug, bei dem die Symbole auf der Minimap fehlen, war ein bischen nervig. Dafür muss man aber lediglich den Spielstand neuladen.
    Selbst die Seeschlachten, wenn auch nicht unbedingt komplex, sind deutlich besser als in 1404, weil es jetzt tatsächlich Schiffe mit speziellen Rollen gibt. Und die Addons sind witzig, mit Hotkey-Torpedoes/Artillerie/Booster oder sogar Dynamitladungen, mit denen man seine Schiffchen in Kamikaze-Angriffe schicken kann. Durch die Komposition ergibt sich doch ein bisschen Potential für Einheiten-Kompositionen und Mikro.
    Einige der beschriebenen Probleme, wie Schiffs-Wegfindung oder der Minimalismus in Statistik (sowieso ein Anno-Wahrzeichen) fand ich eigentlich nicht sonderlich problematisch, ich konnte die Probleme in den Versorgungsrouten immer schnell identifizieren. Hätte mir ein bisschen mehr Optionen für Handelsrouten gewünscht, aber letzlich konnte ich alle Routen, die ich wollte, auch so einrichten.
    Nur die dumme und vor sich hin cheatende KI ist ein bisschen schade, gerade wo Seeschlachten interessanter sind. Da würde ich mir mehr Simulation wünschen, atm schadet es zB der feindlichen Wirtschaft anscheinend gar nicht (oder gut versteckt?), wenn du seine Transportschiffe zerstörst.
    ------------
    Was ich mir jetzt wünsche, ist hauptsächlich mehr - Größere Maps mit mehr KI, etwas mehr Simulation für meine Gegenspieler, und ein bissl mehr Freiheit und Komplexität, damit verschiedene Matches nicht immer so ähnlich ablaufen. Ein...

  3. Also mein Fazit nach dutzenden von Stunden ist momentan:
    Das Spiel macht Spaß, sieht schön aus und ist umfangreich aber meine Fresse es ist verbuggt und voller Unzulänglichkeiten. In dem jetzigen Zustand würde ich es ganz hart irgendwo zwischen 60er und 70er Bereich bewerten. So schön das Spiel auch gemacht ist aber hier wurde einfach sehr viel nicht umgesetzt, das schon seit dem Technical Test bekannt ist an Problemen und Wünschen und es gibt einfach eine große Menge an Problemen. Namentlich ist eines der schlechtesten Elemente die Schiffs-KI, bei der es scheint als hätte man die letzten 10, 15 Jahre RTS verschlafen irgendwie und dazu funktionieren sogar die vorhandenen Einstellungen nicht richtig. Aber auch an vielen anderen Stellen gibt es diverse Probleme, sei es dass es kein Saatgut gibt, sei es dass die Erze nicht ausgeglichen sind, dass das Handelsrouten-System so oberflächlich ist, es kein ordentliches Tutorial gibt oder dass man keinen Map Seed auslesen kann. Und welcher Designer ist so toll und denkt "hey, wenn jemand sein eigenes Spiel startet, lasse ich ihn auswählen zwischen Archipel und anderen Fachbegriffen, gebe aber keine Vorschau auf die Map!"? Sorry aber das sind teilweise einfach amateurhafte Fehler. Auch ein gutes Beispiel, bei jedem Spielstart ist man gezwungen unten Links das Menü von den Bevölkerungsstufen auf die unterschiedlichen Bereiche zu wechseln. Es merkt es sich einfach verflixt noch mal nicht. Die Liste an Unzulänglichkeiten ist hier nur angerissen, sie ist lang und zieht sich über viele verschiedene Bereiche.
    Anno 1800 wird mit Patches denke ich problemlos in den 90er Bereich vordringen aber bis dahin hat man noch einiges zutun und ich finde es schon etwas dreist, dass man einen Season Pass und DLCs ankündigt, anstatt das verdammte Spiel erst mal in Ordnung zu bringen.

Hinterlassen Sie bitte einen Kommentar.

Seite 1