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Citizens of Earth (Rollenspiel) – Witzig, absurd, hässlich

Dass Citizens of Earth auf Kickstarter floppte, überrascht mich nicht. Die spröde Kulisse und das biedere Artdesign dürften potenzielle Unterstützter abgeschreckt haben. Doch Atlus hat etwas an dem Projekt entdeckt, sich des Retro-Rollenspiels angenommen und in die Entwicklung investiert. Wir haben geschaut, ob wir die inneren Werte ebenfalls finden.

© Eden Industries / Atlus

Das hässliche Entlein

Machen wir uns nichts vor: Das kanadische Team von Eden Industries hat es ernst gemeint, als es sagte, dass man mit Citizens of Earth (CoE) ein Rollenspiel in der Tradition der Super-Nintendo-Titel entwickeln wolle. Um genauer zu sein, hat man sich das erst mit der Virtual-Console-Version auf Wii U in Europa erhältliche Earthbound als Blaupause ausgesucht. Und dass eben dieses Earthbound ein mehr als veritables  Vorbild ist, wird nicht nur dadurch angezeigt, dass das US-Modul (inkl. Verpackung) auf Ebay bis zu 700 US-Dollar gehandelt wird. Doch Tradition hin, Retro-Charme her – die Kulisse wäre mit einem anderen Ansatz besser bedient gewesen und wird viele potenziell interessierte Spieler abschrecken.

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Die Kulisse soll Retro-Flair mit einem modernen Aussehen vermitteln. Die Betonung liegt auf „soll“… © 4P/Screenshot

Denn man hängt visuell zwischen allen Stühlen und in den Seilen. Man baut nicht auf Pixelkunst, wie sie u.a. bei Nippon Ichis Disgaea-Serie seit Jahren hoch im Kurs steht und zu einem der herausragenden Merkmale der Taktik-Rollenspiele geworden ist. Stattdessen baut man auf einen modernen Comic-Look, der sich an kolorierten Karikaturen orientiert. Das Problem dabei ist nur, dass die eigentlich kaum vorhandenen Zwei-(oder-drei-)Phasen-Animationen und das allgemeine zweidimensionale isometrische Leveldesign der häufig kleinen und durch Ladezeiten unterbrochenen Gebiete ganz klar in den Retro-Bereich fallen. Ebenso die sich mitunter psychedelisch verzerrenden Hintergründe (ebenfalls eine Verbeugung vor Earthbound), vor denen die Gegner in den klassisch rundenbasierten Gefechten agieren und die eigentlich mit einer Epilepsiewarnung versehen werden sollten. Und das will einfach nicht mit dem gut gemeinten, aber schlichtweg nicht zündenden Artdesign-Ansatz und dem halbwegs modernen Aussehen zusammen gehen. Dementsprechend kann ich die despektierlichen Kommentare der Kollegen ebenso nachvollziehen wie das Ergebnis der gescheiterten Schwarmfinanzierung per Kickstarter. Citizens of Earth ist ein hässliches Entlein, aus dem am Ende nur ein hässlicher Schwan wird, egal wie sehr es sich anstrengt. Und das schreckt ab.

Vizepräsident der Welt

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Vieles erinnert an den Super-Nintendo-Klassiker Earthbound, kann aber in keinem Punkt dessen Klasse erreichen. © 4P/Screenshot

Dass der Titel trotz der Kickstarter-Niederlage das Licht der Welt erblickt, ist Atlus zu verdanken. Die japanischen Rollenspiel-Spezialisten, die u.a. hinter der Shin-Megami-Tensei-Serie (Link zum „Im Wandel der Zeit“-Video), Etrian Odyssey oder auch Catherine stehen, haben ein Auge für Besonderes – und schauen sich glücklicherweise auch vermehrt im Independent-Bereich um. Und hat man das Artdesign akzeptiert – wirklich daran gewöhnen kann ich mich auch nach zig Stunden nicht – wird schnell klar, wieso sich Atlus das Projekt geschnappt und zu Ende finanziert hat. Denn so spröde die Fassade ist, so durchdacht präsentiert sich das spielerische Fundament und so überzeugend kann der Humor zünden, der ständig zwischen Albernheiten und angenehmer Politsatire balanciert, dabei aber auch ab und an am Ziel vorbei schießt.

In der Rolle des frisch gebackenen Vize-Präsidenten der Welt (!) wacht man eines morgens zu Hause bei Muttern in seinem Zimmer auf und wechselt ein paar geschmeidige Worte mit ihr und dem jüngeren  Bruder, bevor man zusammen mit ihnen als Gruppe das Gebäude verlässt. Dort jedoch warten erste Demonstranten, die von einem Wahlkampfgegner zusammengetrommelt wurden, der sich als denkbar schlechter Verlierer zeigt. Wegen dieser Demo hat die Polizei die Zufahrtswege zu anderen Stadtteilen bzw. dem Umland abgeriegelt – man ist in einer recht kleinen Tutorial-Umgebung unterwegs, um erste Missionen zu lösen. Wie z.B. das Suchen nach seinem Kontrahenten, der die Bürger aufgewiegelt hat, was schnell zu Handgreiflichkeiten führt. Oder das Lösen des Geheimnisses um die geheimnisvollen Getränke, die den Kaffee-Laden Moonbucks verlassen, bevor dieser sein Fundament hinter sich lässt und gen Himmel verschwindet. Im Laufe der umfangreichen und vollkommen hanebüchenen, aber dadurch auch sehr charmanten Geschichte, kommt man einigen Verschwörungen auf die Spur, sorgt für ein politisches Erdbeben und muss sich letztlich als Weltenretter mit Verhandlungsgeschick beweisen. Die Fantasie, die Eden beim Artdesign fehlte, wird hier im Überfluss präsentiert.

Mutter tröstet dich

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Doch… Hinter dieser spröden Grafik verbirgt sich ein interessantes Retro-Rollenspiel. © 4P/Screenshot

Dabei bewegt man sich in diesem Party-basierten Rollenspiel ohne große Probleme durch die offene Welt mit ihren zweidimensionalen Umgebungen und kann zahlreiche Gebäude betreten, um dort nach den zahlreichen Geheimnissen oder Hinweisen suchen. Und wenn es hart auf hart kommt, muss man auch mal zulangen. Zufällige Kämpfe gibt es hier nicht, alle Gegner sind auf der Karte der näheren Umgebung zu sehen. Allerdings macht es einen Unterschied, ob der Gegner einen Angriff „von hinten“ übernimmt, der ihm die Initiative sichert – natürlich kann man sich auch einen Vorteil verschaffen, wobei der „Überraschungseffekt“ sehr zufällig ausgespielt wird. Das klassische rundenbasierte Kampfsystem, das auch auf das Zusammenspiel von Resistenzen und Anfälligkeiten setzt und bei dem man zuerst alle Aktionen für seine maximal drei Figuren festlegt, bevor alles basierend auf Initiative abgespult wird, weist mechanisch nur eine kleine Abweichung von bekannten Retro-Ansätzen auf: Sonderaktionen kosten Energiepunkte, die man durch erfolgreiche Standardangriffe aufladen muss. Dabei kämpft der Vizepräsident jedoch nicht selber, sondern kommentiert nur, was auf dem spröde präsentierten Schlachtfeld passiert.


  1. Mhh, ich bin jetzt schwer am überlegen...ich habe das Spiel schon in meiner Beobachtungsliste, da ich riesiger Earthbound Fan bin.
    Allerdings löst es beim betrachten dann doch immer wieder nur die Lust in mir aus, meinen SNES anzuschließen und das Modul einzuwerfen.
    Aber ich denke ich werde es mir nächste Woche gönnen, mehr Humor und gut gemachte ähnliche Titel zu einem grandiosen Original sind ja doch immer einen Blick wert.

  2. Nur mal so als Vorwarnung: Das Spiel stürzt auf der Vita (und auch auf der PS4 soweit ich gelesen habe) regelmäßig ab - vor allem bei Gebietsübergängen von denen es haufenweise gibt. Zwar folgt der Absturz immer erst nach dem Autosave, aber störend ist es trotzdem.
    Außerdem hab ich es heute geschafft, dass ich in unbegehbaren Gebiet feststeckte. Ich konnte auf dem Meer laufen - kam aber nicht mehr zurück aufs Land. Zum Glück konnte ich nen weiteren Bug provozieren und landete wieder an Land :D Also eventuell noch etwas warten. Das Team arbeitet immerhin daran.

  3. Bin am überlegen mir die Version für den 3DS zu holen, ist ja glaub Momentan im Angebot.
    Als Fan von Atlus (vor allem Etrian Odyssey) kann ich denk ich nicht zuviel falsch machen :wink:

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