Der Spock der Jetztzeit
Auch wenn die US-Serie seit drei Jahren frenetische Anhänger um sich schart: Mir hat der adrette Massenmörder im Dienst der Polizei zu wenig Erzählfleisch auf der Brust. Einen zwanghaften Killer, der seine Leidenschaft nur auslebt, indem er andere, definitiv schuldige Mörder zur Strecke bringt, halte ich für belanglos. Nicht zuletzt geht die Prämisse zudem Hand in Hand mit einer Rechtsprechung, welche die Todesstrafe als probate Bestrafung akzeptiert. Dexters Bemühungen, ein normales soziales Leben zu führen sowie seine Arbeit als Blutfleck-Analyst bei der Polizei wären nur dann interessant, wenn er die Gesellschaft damit unterwandern wollte. Ohne diesen Aspekt wirken sie wie die Kopie von Spocks holprigen Versuchen, seine Menschlichkeit zu entdecken.
Kleine Bühne statt großes Kino
Und ohne fehlt auch dem Spiel das Besondere. Denn anstatt eines Ritts in die Abgründe der menschlichen Psyche, erwartet den virtuellen Dexter höchstens der Abgrund seines halbherzigen interaktiven Egos. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn neben einer Schulterperspektive bietet Dexter: The Game auch eine Ego-Perspektive sowie drei Steuerungsvarianten. Am besten steht dem Killer-Cop dabei die Variante,
Angenehm, Dexter. Mörder. Polizist. Moderner Spock. |
für dich ich zum Umsehen über den Bildschirm streife und zum Laufen einen virtuellen Analogstick benutze. Unhandlich ist hingegen das Kippen des Bildschirms zur Vorgabe der Laufrichtung. Dann bewegt sich Dexter nämlich erst beim Drücken des Vor- oder des Rückwärts-Knopfs – eine denkbar unpraktische Lösung. Immerhin habe ich dann aber nicht ständig einen Finger vor der Linse. Schlimmer ist, dass mitunter kein Symbol auf meine Auswahl reagiert, so dass ich das Spiel evtl. erst verlassen muss, bevor der Fehler behoben ist. Ebenfalls unangenehm: Während mir beim Blick über Dexters Schulter immer wieder Türen oder sonstige Objekte die Sicht versperren, schiebt sich der Hauptdarsteller selbst sogar bei aktivierter Egosicht ins Bild. Nein, technisch bietet die Umsetzung nicht das, was die Screenshots versprechen. Einige Innenräume wurden zwar detailliert modelliert, Szenen im Freien wirken aber klobig und werden durch unsichtbare Mauern auf unnatürlich enge Bühnen reduziert.
Technik pfui, Spiel hui? Kann die Mischung aus Krimi-Adventure und Minispielen wenigstens inhaltlich überzeugen? Und was beschäftigt eigentlich einen Killer, der kein Killer sein darf? Nun, beruflich beschäftigt ihn genau das, was ihm auch in der Flimmerkiste aufgetragen wird: Er sucht nach Spuren, indem er Blutflecken analysiert. Allerdings macht das entsprechende Minispiel, bei dem ich mit der richtigen Waffe Blutflecken in richtiger Form und Größe nachzeichnen muss, nur einen sehr kleinen Teil dieser Episode aus. Ich bin sogar richtig angetan, wie abwechslungsreich Dexters Alltag aussieht; seine Mördersuche ist in vier Kapitel unterteilt, die nicht hintereinander abgespult werden, sondern parallel verlaufen. Sein wichigstes Ziel ist das Sicherstellen der Schuld seines nächsten Opfers (deshalb die Arbeit als Polizist), und um die entsprechenden Beweise zu erhalten, muss er verschiedene Aufgaben lösen. Mal knacke ich dafür durch das gefühlvolle Schaukeln des Handhelds Schlösser, mal entschlüssele ich Codes durch das Lösen Sudoku-ähnlicher Puzzles, mal wähle ich im Gespräch mit Zeugen oder Kollegen eine von drei Antworten aus, ein andermal verfolge ich ähnlich wie Solid Snake einen Verdächtigen und im Polizeirevier löse ich eine Vielzahl weiterer Minispiele.
Knopfdruck-Schleichen
Letztere stehen mir nach Lust und Laune offen – „hauptberuflich“ klappere ich jedoch meist nach vorgefertigtem Plan Tatorte ab, statte Angehörigen von Opfern einen Besuch ab oder suche in Akten nach Hinweisen. Leider muss ich meistens aber nur das blinkende Ziel ausmachen und aufsuchen. Die spielerische Herausforderung ist dabei so dünn wie die emotionale Haut einer Mimose – falls das genannte Ziel nicht mal wieder unnötig schwer zu erkennen ist. Bevor ich allerdings weiß, was überhaupt zu tun ist, muss ich mich durch Dexters Journal wühlen; die einleitenden Worte der guten Sprecher geben nur selten präzise Hinweise. Und wer
Zumindest die Innenräume wurden vergleichsweise aufwändig modelliert – der spielerische Level-Aufbau ist hingegen stark eingeschränkt. |
kein Englisch beherrscht, wird Dexter übrigens weder hörend noch lesend verstehen.
Glück im Unglück: Weiß man einmal, wo man überhaupt hin muss, schlaucht man sich dermaßen geradlinig voran, dass man ohnehin nichts verstehen muss. Dass Dexter seine soziale Maske wahren, während er gleichzeitig seine mörderische Gier stillen muss, hat z.B. keine nennenswerten Auswirkungen. Es heißt wohl „Game Over“, wenn eine Seite gewinnt. Dazu kam es aber nie, weil diese Balance entweder ohnehin das Spielziel war oder weil es egal scheint, wie willkürlich ich in Dialogen die weiße, die graue oder die schwarze Antwort gewählt habe. Erzählerisch könnten die Unterhaltungen sogar interessant sein; spielerisch haben die unterschiedlichen Antworten keine spürbaren Auswirkungen. Dank der schleierhaft beschrifteten Dialogoptionen kann ich ohnehin kaum ahnen, was Dexter anschließend antworten würde.
Ähnlich holprig werden jene Abschnitte inszeniert, in denen sich der Killer-Cop an ein Opfer oder einen Verdächtigen heranschleichen soll: Durch Tastendruck geht er in Deckung – ansonsten muss er prinzipiell nur auf sein Ziel zulaufen. Im schlimmsten Fall steht die entsprechende Person dann auf der gegenüberliegenden Straßenseite, so dass ich einfach auf sie zu gehe und auf dem Weg zweimal die Taste zum „Untertauchen“ drücke. Das war’s.
…
Hat Dexter schließlich alle Beweise, dass es sich bei der gesuchten Person tatsächlich um den Mörder handelt, darf er seinem „Dunklen Passagier“ – in kontrollierten Grenzen – endlich freien Lauf lassen. Dann bereitet er den Ort der Tötung penibel genau vor, verfolgt sein Opfer, entlockt ihm ein Geständnis und bringt es schließlich um. Klingt nach einem grausigen Finale für Erwachsene? Ist es auch! Besser noch: Später darf ich sogar wählen, ob ich dem Mörder den Garaus machen oder ihn mit einem anonymen Tipp der Polizei übergeben will. Grafisch, akustisch und spielerisch bleiben die Showdowns aber deutlich hinter meinen Erwartungen zurück. So darf ich zur Vorbereitung gerade mal Plastikvorhänge zuziehen, um später keine verräterischen Blutspritzer zurückzulassen. Anschließend „verhöre“ ich das Opfer, indem ich einen spitzen Gegenstand wähle und in der Nähe des Opfers auf „verhören“ klicke. Zum Abschluss ziehe ich dann auf einem schwarzen Bildschirm Pfeile nach oder drücke auf angezeigte Punkte, um das Opfer zu töten. Das ist richtig langweilig, in keiner Weise fordernd und mitnichten provozierend. Ich tue es nur, damit ich endlich weiter komme. Dexters angeblich dunkle Seite ist mir egal.
Wulgaru: Deine Edith stimmt in beiden Richtungen, von daher genug abgeschweift. Aber danke für die Unterhaltung!
Hackedicht: Der Test bezieht sich auf's Spiel. Zwei Kommentare zur Serie darf ich mir darin trotzdem erlauben.
Ben
So oder so ist "oberflächlich" sicher nicht das Wort der Wahl, dafür wird doch allein in den ersten beiden Staffeln zu viel von Dexters Vergangenheit, seinem Job, seinem Privatleben, seinem "Hobby" ausgearbeitet. Dafür haben seine Gedanken im inneren Monolog zu viel Platz, dafür ist die Handlung zu komplex, dafür ist auch der Kontrast zwischen Dexters "Maske" und seiner wahren Persönlichkeit zu geschickt und überzeugend. Immer wieder wird dieser Kontrast ja herausgestellt (gerne auch mal, wenn man gerade wirklich mit diesem Killer sympathisiert) und dann ist da doch die Frage, ob Dexter vielleicht weder das eine noch das andere ist. Weder der perfekte Sunnyboy und Familienmensch, aber auch nicht der skrupellose, wahnsinnige Serienmörder?
Zudem macht die Figur eine Entwicklung durch. Das ist z.B. eine der Stärken, die Dexter mit Battlestar Galactica gemeinsam hat.
Und wenn du das trotzdem tust, so wie in diesem Fall, dann musst du dich nicht wundern, wenn die Fans dieses faszinierenden Charakters dir die Leviten lesen . Und nein, es ist nicht cool, etwas doof zu finden was die meisten toll finden .
Zumindest Galactica habe ich gesehen und kann dir daher den wesentlichen Unterschied aufzeigen:
Galactica hat keinen einzelnen tragenden Hauptcharakter, die Figuren sind komplex, aber die Serie bricht nicht zusammen wenn eine wegfällt.
Zwar werden auch bei Dexter die Nebencharaktere komplex ausgefüllt, aber ohne Dexter ist das Konzept der Serie hinfällig.
Deswegen muss seine Figurkonzeption alle "Heldenanforderungen" beinhalten.
Und das tut sie im negativen und positiven Sinne. Dein Hauptkritikpunkt, dass ihm niemand den Spiegel vorhält stimmt nicht ganz, dass tut er oft genug selber.
Zudem ist mir persönlich bei dieser Serie, der "Serienkiller" Aspekt im Grunde nicht wichtig, die Interaktion des quasi "Autisten" Dexter mit seiner Umwelt außerhalb der Morde ist viel interessanter und nimmt in den späteren Staffeln auch sehr viel größeren Raum ein.
Die erste Staffel will natürlich schocken, daher ist hier der "Serienkilleraspekt" wichtiger.
Edit:
Aber lassen wir das lieber, ich bin zu sehr Fan dieser Serie, du magst sie nicht und das ist auch gut. :wink:
Schau dir das neue Galactica, In Treatment, Carnivale oder Babylon 5 an. Da sind schräge, zum Teil sogar kaputte Charaktere drin, die einfach nicht aus ihrer Haut können. Mein Problem ist ja: Dexter kann das - mehr oder weniger... - einfach so. Er ist aus Leidenschaft Killer, verdammt noch mal, dann sollen sie ihn doch einen sein lassen, anstatt ihm die Zähne abzuschleifen.
Dass wirklich schwierige Figuren nicht massentauglich sind, ist mir natürlich bewusst. Aber es geht schon, auch im "normalen" Fernsehen.
Ich hab übrigens nicht gesagt, dass Dexter ein kaltblütiges Arschloch wäre! Aber viele Personen in seiner Umwelt würden ihn mit Sicherheit so sehen, falls sie die Wahrheit erfahren sollten.
Ben