Veröffentlicht inTests

Draugen (Adventure) – Zeitreise ins kalte Norwegen

Von Amerika bis Graavik, ein von der Außenwelt fast komplett abgeschnittenes Dorf im kalten Norwegen, reist Edward Charles Harden auf der Spur seiner vermissten Schwester. Was heute ein Katzensprung ist, war in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein beachtliches Unterfangen, denn Edward scheut für seine Suche weder Zeit noch Mühe. Zum Glück ist er deshalb nicht alleine – und die lebendigen Unterhaltungen zwischen ihm und seiner jungen Begleiterin haben mich im Test glatt an das famose Firewatch erinnert…

© Red Thread Games / Red Thread Games

Ruhiges Erleben

In gerade mal drei Stunden sind manche Spieler offenbar durch diesen „Wander-Simulator“ gestürmt – eine Tatsache, die ich wie so oft nicht nachvollziehen kann. Fast das Doppelte der Zeit hat mich mein Ausflug nach Graavik jedenfalls gekostet, weil ich viele Momente auskosten wollte, anstatt so schnell wie möglich den jeweils nächsten Aktionspunkt zu erreichen. Immerhin ist Graavik nicht das technisch beeindruckendste, aber ein dennoch idyllischer Ort.

Im Gegensatz zu Storm in a Teacup, die mit dem ebenfalls gerade erschienenen Close to the Sun hauptsächlich Kulissen erschaffen haben, an denen man lediglich einmal vorbeiläuft, nutzt Red Thread Games (Dreamfall Chapters) das kleine Dorf nämlich als überschaubare Bühne, auf der man verschiedene Orte mehrmals besucht. Das klingt nach etwas mehr als es ist, dennoch kommt der eigene Charakter des Dorfs durch das wiederholte Besuchen stärker zum Tragen. Zunächst unscheinbare Ecken gewinnen erzählerisch an Bedeutung, sodass man irgendwann eine emotionale Bindung entwickelt. Es gibt sogar Gelegenheiten, an denen sich Edward hinsetzen und beliebig eine Skizze seines Ausblicks zeichnen darf, was auf angenehme Art an Life Is Strange erinnert.

Als ich Graavik verlassen musste, war ich deshalb sehr froh darüber, dass Edward noch einmal in aller Ruhe durch die Siedlung schlendern durfte, und dass auch der finale Blick sowie die abschließende Unterhaltung in keiner Weise auf ein eiliges Ende drängten. Tatsächlich hatte ich erst kurz zuvor ein interessantes Gespräch

[GUI_STATICIMAGE(setid=86013,id=92589019)]
Graavik ist kein technisch aufwändiger, aber trotzdem angenehm idyllischer Schauplatz. © 4P/Screenshot

geführt: Was war denn nun wirklich geschehen? Warum sind Edward und Alice dorthin gereist und was wird in Zukunft sein? Die Antworten hatten mich durchaus überrascht…

Who the fuck?

Stimmt, ich hatte Alice noch gar nicht vorgestellt. Sie ist eine Freundin Edwards: keck, clever, ständig in Bewegung. Man kann jederzeit nach ihr rufen, falls sie vorausgeeilt ist, oder mit ihr sprechen, wenn sie sich am selben Fleck befindet. Dann kommentiert Edward die aktuelle Situation, stellt Fragen oder drückt aus, was ihn bedrückt. Immerhin finden sich die beiden in einem aus unerklärlichen Gründen verlassenen Dorf wieder – dazu gleich mehr.

Zuerst einmal bin ich begeistert davon, wie lebendig diese Unterhaltungen mit Alice inszeniert werden, weil sich Red Thread Games an mehreren Stellen Gedanken darum gemacht hat. Da fällt Edward seiner Begleitung etwa gelegentlich ins Wort: ein ganz alltägliches Phänomen, das viel zu selten in Skripten verwendet wird, obwohl es Unterhaltungen auf einfache Art einen authentischen Anstrich verleiht.

Abgesehen davon ist Alice ständig präsent. Geschickt hält sie sich zwar zurück, während man nach Hinweisen sucht oder sich einfach nur umsieht, tritt aber immer dann heran, wenn etwas Handlungstragendes geschieht. Einen großartigen Moment habe ich schließlich erlebt, als sie Edward im aufgebrachten Zustand eine Standpauke hielt. Einen Augenblick nur wollte ich mich da umsehen, um meinen nächsten Schritt zu planen, da faucht sie doch tatsächlich: „Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“ Das passiert freilich nicht alle Nase lang, weil das eine spielerische Einschränkung wäre. In den entsprechenden Augenblicken ist es dann aber umso wirkungsvoller. Für einen kurzen Moment versank ich jedenfalls komplett in der Rolle und mehr kann ein Spiel kaum leisten.

  1. Ich finde, Alice ist das mit Abstand beste am "Spiel". Hat viel Humor, ist fantasievoll und verspielt. Ich finde den Charakter faszinierend. Ganz im Gegensatz zum Protagonisten, der auf mich zugeknöpft und langweilig wirkt. Ein Charakter, der zum Lachen in den Keller geht. Aber Edward bildet einen guten Gegenpol zu Alice, immerhin.
    Grafik ... na ja. Technisch keinesfalls auf dem neuesten Stand, aber trotzdem ganz nett. Hässliche Spiele gibts ja heutzutage nicht mehr.
    Die Geschichte ist für mich die Schwäche des Spiels:

    Show
    Der Twist, dass der Protagonist geisteskrank ist, hat mich beim Film "A Beautiful Mind" noch übelst geflasht und schockiert, da ich diese Art von Wendung damals noch nicht kannte. Mittlerweile hab ich dieses psychodramaturgische Element aber so oft in Filmen, Romanen und Spielen präsentiert bekommen, dass es fast schon klischeehaft rüberkommt.

  2. Ich habe es gestern angefangen und habe bereits ca. 4 Stunden hinter mir. Müsste jetzt ca 3/4 durch haben, wobei ich mir auch sehr viel Zeit lasse und alles genauer beobachte. Hier meine Eindrücke bisher:
    Alice: Diese Figur hat mich am Anfang mit ihrer Ausdrucksweise und Benehmen tierisch genervt. Später gewöhnt man sich etwas daran. Finde trozdem, dass eine "ernstere" Figur besser gepasst hätte.
    Welt: Sehr Idylisch und harmonisch. Grafik geht auch in Ordnung
    Geeschichte: Finde die Geschichte bis jetzt interessant und es fesselt einen. Leider sind viele Sachen jedoch voraussehbar, wenn man die Umgebungen etwas genauer beobachtet und nicht durch rusht (sollte man bei dieser Art spielen eh niemals tun). Meistens fühlt man sich in seinen Vermutungen Bestätigt ohne große Überraschungen.
    Protagonist: Interessanter Character mit nachvollziehbaren Handlungen, Gedankengängen und motiven. Sehr gelungen.
    Alles in allem gefällt mir das Spiel bereits ziemlich gut. Es kommt nicht an "What remains of edith finch" oder "everybody gone to the rapture" ran ist aber klar besser als "gone home" und "dear esther".
    Wer auf so was steht kann bedenkenlos zu schlagen

  3. Briany hat geschrieben: 05.06.2019 23:11 Edith ist absolut empfehlenswert. Eine leicht andere Schiene aber hat extrem Eindruck bei mir hinterlassen: Firewatch! ;)
    "Firewatch" war eine große Überraschung und gehört für mich zu den besten Spielen der letzten Jahre. Die Navigation nur mit Kompaß war cool, es schwebte der Geist von Stephen King über der Landschaft, und die Dialoge sind bis heute die besten und erwachsensten, die ich je in einem Videospiel bewundern durfte. Das war erstklassige Schriftstellerei und für die Spiele, die ich so kenne, ein völlig neues Niveau.
    Ich würde vielleicht auch "Draugen" eine Chance geben, ist aber wohl blöd auf dem PC ohne Grafikkarte ...

Hinterlassen Sie bitte einen Kommentar.

Seite 1