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Mass Effect (Rollenspiel) – Mass Effect

Kann BioWare ohne die Macht von Star Wars im Rücken futuristisch begeistern? Mit Jade Empire haben die Kanadier bewiesen, dass sie auch ohne Lizenz das Flair exotischer Kulturen einfangen können. Mass Effect ist allerdings ein ganz anderes Kaliber. Hier soll ein episches Rollenspiel in einem neuen Universum stattfinden – inklusive filmreifer Präsentation, lebendiger Dialoge und moralischer Konflikte. Jetzt auch auf PC.

© Bioware / Microsoft

Charaktererschaffung

Wenn ihr nicht mit dem Standard-Shepard losziehen wollt, könnt ihr euch einen eigenen Charakter basteln und dabei das Gesicht verändern. Lange Haare sind nicht erlaubt und die Statur bleibt unangetastet. (360)

BioWare hat sich sehr gut inspirieren lassen und die Motive in etwas Eigenständiges verwandelt. Und die Jungs aus Kanada wissen, wie sie mich noch vor dieser ersten Mission ködern können: Es gibt nichts Schöneres für einen Rollenspieler als die Erschaffung seines Charakters. Denn schon da beginnt die Illusion von Freiheit. Und auch hier gibt es diese intime Geburt vor dem eigentlichen Abenteuer. Ihr habt keine Lust auf den vorgefertigten Commander Shepard? Er ist euch zu glatt? Kein Problem: Habt ihr euch für Mann oder Frau entschieden, dürft ihr nach allen Regeln der Gesichtsdeformierung an eurem Äußeren basteln. Egal ob Augenform, Nasenbreite, Hauttyp oder Narben – alles lässt sich anpassen.

Nur lange Haare oder Zöpfe sind leider tabu für künftige Allianzsoldat(inn)en, was dazu führt, dass sich vor allem die Frauen gleichen. Auch die deutsche Stimme des Helden, an die man sich erst mal gewöhnen muss, lässt sich natürlich nicht verändern. Obwohl viele Sprecher, wie der eures Vorgesetzten Captain Anderson oder der des außerirdischen Antagonisten Saren, sehr gut zur Figur passen, gibt es auch einige deplatzierte Besetzungen; außerdem wiederholen sich manche Frauenstimmen und im Finale gibt es einen seltsamen Bruch in der Stimme des Feindes. Schade ist auch, dass die deutsche Stimme von Luke Skywalker so schnell wieder verschwindet. Aber diese wenigen Aussetzer lassen sich verschmerzen – unterm Strich kann man die Lokalisierung als gelungen bezeichnen. Ihr könnt euch eine von drei Vergangenheiten sowie eines von drei Psychoprofilen aussuchen. Schon hier beginnt das Rollenspiel: Wollt ihr auf der Erde oder in den Kolonien geboren sein? Wollt ihr als einziger Überlebender oder Kriegsheld gelten? Denkt daran: Später werden die Leute ihre Kommentare dazu abgeben. Trotzdem hat diese Wahl noch keine relevanten Auswirkungen: Ihr bestimmt später durch eure Taten, ob ihr als vorbildlich oder verrucht eingestuft werdet.

Neben eurer Herkunft und einem Psychoprofil könnt ihr auch eine von sechs Klassen wählen. Diese bauen unterschiedlich auf den Fähigkeiten Kampf, Biotik und Technik auf. (PC)

Hinzu kommt die berufliche Ausrichtung: Sechs Klassen vom Soldaten über den Techniker bis hin zum Wächter stehen zur Verfügung. Sie bauen alle unterschiedlich auf den drei Fähigkeiten Kampf, Biotik und Tech auf; entweder pur oder als Mischung. Erstere lässt euch über klassische Waffen von der Pistole bis zum Sturmgewehr Schaden austeilen, Zweitere lässt euch die Umwelt vom Gegnerwurf bis zur Projektilbarriere psychisch manipulieren – was übrigens dank aktiver Physikengine wunderbar inszeniert und über bläuliche Luftverzerrungen sehr gut dargestellt wird. Letztere erlaubt euch u.a. das Hacken und Überhitzen von Systemen, Waffen oder Gegenständen. Das geht so weit, dass sich feindliche Kampfroboter nach Erfolg gegenseitig angreifen…

Charakterentwicklung

Bei der Chronologie und Glaubwürdigkeit der Welt macht BioWare alles richtig. In Sachen Art & Design, Lokalisierung und Musik macht BioWare alles richtig. Bei der Charaktererschaffung macht BioWare alles richtig. Auch die Wahl des Schwierigkeitsgrades sowie die komfortablen Einstellungen hinsichtlich des automatischen oder manuellen Aufstiegs sind lobenswert. Und man erkennt schon auf der Charakterkarte, dass man sehr viele Möglichkeiten hat, seinen Helden zu spezialisieren: Wollt ihr eure frischen Erfahrungspunkte lieber in das Präzisionsgewehr, die Erste Hilfe oder das Elektronikwissen investieren? Wer sich auf eine Schiene konzentriert wird schrittweise mit neuen Fähigkeiten belohnt: Diese erscheinen im Kampf in einem runden Auswahlmenü und können dann direkt genutzt werden.

Selbst Feinheiten wie Narben oder die Nasenbreite lassen sich im Gesichtseditor anpassen. Ihr könnt übrigens auch eine Frau spielen, was sich auf die Beziehungen im Spiel auswirkt. (360)

Angehende Scharfschützen bekommen z.B. das „Attentat“, das den Schaden des nächsten Schusses immens vergrößert. Angehende Elektroniker dürfen selbst schwierige Sonden bergen oder Safes dechiffrieren. Das wird übrigens über ein Reaktionsspiel simuliert: Ihr müsst schnell die Buttons drücken, die aufleuchten. Spannend ist das allerdings nicht auf lange Sicht, denn leider verspürt man kaum Unterschiede zwischen „leichten“ und „schweren“ Schlössern – und wenn es nicht klappt, kann man das Ganze auch einfach aufkaufen, indem man Gel investiert. Hätte man da nicht unterschiedliche oder etwas kniffligere Methoden anbieten können? In Star Wars: Knights of the Old Republic spielte das Hacken noch eine interessantere Rolle. Auch im weiteren Verlauf gibt es nur zwei, drei Stellen, wo es als Rätselelement in ein Logikspiel verändert wird.

Das Problem ist vielleicht auch, dass man nach zehn bis zwölf Stunden, also etwa zur Hälfte des Abenteuers, fast alle relevanten Werte eines Charakters auf das Maximum gebracht hat. Und danach bleibt nur noch Platz für den Ausbau scheinbar weniger wichtiger Dinge. Immerhin kann Mass Effect dem vorschnellen Karriere-Ende nach zwei Drittel der Spielzeit über eine Spezialisierungsklasse entgegen wirken: Irgendwann kann man sich als „Soldat“ z.B. für eine der Subklassen „Sturmtruppe“ oder „Kommando“ entscheiden. Und danach gibt es eine neue Fähigkeit, die gefüllt werden darf. Richtig Schwung bringt diese aber auch nicht in eine letztlich verfrüht abgeschlossen wirkende Charakterentwicklung. Ich habe das Spiel in Level 42 abgeschlossen, theoretisch ist Level 50 und sogar 60 möglich. Sehr ärgerlich ist allerdings, dass man nach dem Finale nicht noch mal in das Universum zurück kann, um evtl. offene Missionen zu meistern – man muss ganz von vorne anfangen.