Oxenfree II: Lost Signals – AAAlles langweilig
Geht es euch vielleicht wie mir?
Ich habe die Nase voll von den aufgeblähten AAA-Titeln der letzten Jahre. Irgendwie sind die ultraufwendig produzierten Blockbuster alle gleich und hangeln sich an den Spielmechaniken erfolgreicher Genrehits entlang: Neben fetter Action geht’s doch fast immer darum, Rohstoffe zu farmen, Erfahrungspunkte zu grinden und Fähigkeitenbäume erblühen zu lassen. Die Geschichten und ihre Charaktere sind dabei nur selten das Papier wert, auf das sie geschrieben wurden. Und dann ist meine Auftragsliste auch noch oft länger als mein Einkaufszettel vor dem Großeinkauf. Es mag daran liegen, dass ich 45 bin, einen Hauptjob und zwei kleine Kinder habe und mir meine Lebenszeit einfach zu schade ist, um riesige Landschaften stundenlang nach beliebigen Gegenständen und Ereignissen zu durchforsten, die zwar den Verteidigungswert meiner Stiefel um einen Zähler erhöhen, in mir aber weder Gefühle auslösen noch mich auf neue Gedanken bringen.
Ich könnte auch schlicht übersättigt sein, da ich in meinen 17 Jahren als Videospieltester zu viele Spiele gespielt habe, als dass mich der nächste Grafik-Krach-Peng-Knaller noch aus besagten Stiefeln hauen könnte. Manchmal passiert das schon noch. Doom war stumpf, aber super. God of War oder Horizon: Zero Dawn fand ich dank starker Charaktere und Storys klasse, die Nachfolger haben mich hingegen beide lange vor Ende verloren. Mein Highlight im Spielejahr 2022 war stattdessen The Stanley Parable: Ultra Deluxe, im Jahr davor begeisterte mich das famose Zeitschleifen-Abenteuer The Forgotten City über die Maßen.
In dieselbe Kerbe schlug auch der kleine Indie-Titel Oxenfree, den ich erst 2018 entdeckte, zwei Jahre nach Veröffentlichung. Die Fülle an Indie-Games ist schließlich längst derart groß, dass solche Perlen allzu leicht untergehen. Der nichtssagende wie sonderbare Titel lockte mich damals auch nicht. Ein Fehler, wie ich nach den sechs Stunden Spielzeit gestehen musste. Denn trotz einiger Ungereimtheiten, die Michael Krosta seinerzeit im Test zu Recht bemängelte, hinterließen die originelle Gruselstory, die starke Präsentation und die fein gezeichneten Charaktere einen bleibenden Eindruck, weshalb ich mich sehr auf die Fortsetzung gefreut habe.
Existenzielle Krisen
Oxenfree II: Lost Signals entstand wie der Vorgänger beim Night School Studio, das zu Netflix gehört. Man spürt zudem, dass im Studio ehemalige Telltale-Entwickler arbeiten. Denn im Kern ist Oxenfree II: Lost Signals ein Walking Simulator mit Adventure-Flair, der auf Action verzichtet und stattdessen von Dialogoptionen lebt, die den Fortgang einer spannend erzählten, tiefsinnigen Geschichte mit vielschichtigen Charakteren teils eklatant beeinflussen. War der Vorgänger noch ein Coming-of-Age-Drama einer Teenagergruppe rund um Protagonistin Alex, die auf Edwards Island versehentlich ein Portal in die Geisterwelt öffneten, geht es diesmal um Riley Poverly, die auf der Nachbarinsel im Dörfchen Camena in schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen und alsbald weggezogen ist. Nach Jahren der Ziellosigkeit hat sie nun einen neuen Job angenommen, der sie zurück in die alte Heimat führt. Gemeinsam mit ihrem ehemaligen Mitschüler Jacob Summers, der wiederum das Dorf noch nie verlassen hat und sich mit gelegentlichen Handwerksaufträgen durchs Leben schlägt, soll sie für ihre Auftraggeberin Evelyn Sendestationen errichten, um merkwürdige Funkphänomene zu erforschen. Beide ahnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, worauf sie sich eingelassen haben. Kenner des Vorgängers indes schon.
Der an sich recht simpel anmutende Job eskaliert nämlich rasch in einen übernatürlichen Thriller, als die beiden feststellen, dass eine jugendliche Kultistengruppe namens „Die Abstammung“ versucht, erneut eine Pforte ins Jenseits zu öffnen. Das klingt ein bisschen nach der Erfolgsserie Stranger Things, setzt aber andere Schwerpunkte. Zwar sprüht auch die fantastische Synthesizer-Klanguntermalung vor 80er-Flair und könnte tatsächlich genau so in der populären Netflix-Serie vorkommen. Im Mittelpunkt stehen aber Riley und Jacob, die, beide um die Dreißig, ziellos durchs Leben wandeln. Während das Spiel vordergründig einen stets spannenden Mystery-Thriller präsentiert, zeichnen die Autoren der Geschichte komplexe Charaktere, die sich an existenziellen Krisen, Traumata und Fragen abarbeiten, wie wir sie wohl alle kennen. Von der Prägung durch die eigenen Eltern, der Ziellosigkeit durch die Flucht vor der eigenen Biographie und Verantwortung bis hin zur Sinnsuche ist alles dabei und mündet in der entscheidenden Frage: Wer bin ich und wer will ich sein?
Kommunikation ist alles
Damit baut Oxenfree II: Lost Signals nicht nur oberflächlich auf den Ereignissen des Vorgängers auf, sondern liefert auf persönlich-intimer Ebene auch das Fundament für die zentrale Spielmechanik: Gespräche. Fast das komplette Spiel über sind Riley und Jacob gemeinsam in der bergigen Waldlandschaft rund um Camena unterwegs und suchen ihren Weg zu den höchsten Punkten des Eilands, um dort Sendestationen zu errichten und so das bedrohlich über Edwards Island schwebende Portal zu versiegeln. Dabei unterhalten sie sich, und ihr entscheidet euch für eine der eingeblendeten Antwortmöglichkeiten, die in Sprechblasen über Rileys Kopf erscheinen. Dafür habt ihr zwar nur begrenzt Zeit, diese ist aber großzügiger bemessen als im Vorgänger. Ebenfalls besser gelöst ist, dass eine gewählte Antwort erst dann als – leider nur englisches – Sprachsample abgespielt wird, wenn Euer Gesprächspartner fertig ist.
Hat Netflix eigentlich irgendwann einmal verlauten lassen, warum das Spiel nicht für die XBox erscheint?
Sehr schön, da hab ich drauf gewartet, hab den ersten Teil super gefunden.
Ich seh grad, Teil 1 hat hier damals nur 69% bekommen, was war denn da los
Klingt gut. Danke für den Test.
Ich mochte Teil 1 - war ein nettes Spiel mit dichter Atmosphäre und netten Charakteren.
Da werde ich wohl mit Teil 2 ebenfalls meine Freude haben. Kurz und knackig und somit gut für ein verregnetes Wochenende geeignet. (Ansich ist das Wetter viel zu gut für diese Art von Spiel)
Afterparty von den gleichen Machern hat übrigens noch keinen Test hier bei 4p. Weniger Horror, mehr Abstrusitäten, aber auch unterhaltsam.