Urlaub für die Augen
Nach einem spielerisch und inszenatorisch recht biederen Einstieg (Na, wann finde ich endlich das Schwert?) breitet sich spätestens nach zwei, drei Stunden eine wunderbar verwinkelte, süß gebaute Spielwelt vor euch aus. Viele Geheimwege, Schlupflöcher in toten Winkeln, versteckte Schatztruhen & Co. sind erst auf den dritten Blick als solche erkennbar; immer wieder freut man sich über Abkürzungen, die das zum Spiel gehörende Backtracking abmildern und dem Spieler regelmäßig das gute Gefühl geben, dem Ziel wieder ein schönes Stück näher gekommen zu sein. Natürlich trägt auch die Optik ihren Teil zum Hochgefühl des Abenteuerlebens bei: Tunic ist wie Death’s Door ein Indiespiel, aber – und das ist eine der schönen Parallelen zwischen den beiden Titeln – halt ein wirklich bildschönes.
Die verwinkelten, ästhetisch ansprechenden Areale bieten einen optimalen Mix aus Detailverliebtheit und Übersicht, alle Lichteffekte und Farben wirken hübsch, stimmig und angenehm gedämpft. Dazu spult Shouldice nicht einfach das Programm Wald-, Eis-, Wüsten- und Feuerwelt ab, sondern verknüpft die Biome organisch elegant miteinander; zudem besucht man im Spielverlauf ein paar richtig überraschende Settings. An einigen Punkten kann eure Spielfigur durch ein Fernrohr blicken – dann zoomt die Kamera für einen Moment heraus, ihr erkennt größere Zusammenhänge der Levelstruktur und Tunic wirkt wie ein Diorama, das man sich am liebsten in Postergröße an die Wand hängen würde.
Retro-Anleitung in Raten
Vieles in Tunic ist anfangs geheimnisvoll: Ein Schild in einer Fantasiesprache, das den Weg nach Werweißwohin anzeigt, ein Skelettdämon in einer Höhle, der seine Waren vor euch auslegt, eine Zwischenwelt voller Schnellreise-Portale, die aber alle noch nicht zugänglich sind – da kratzt man sich schon mal verlegen an der Rübe. Licht ins Dunkel bringen Buchseiten, die euer Fuchs überall in der Spielwelt findet. Diese ergeben nach und nach, über viele Stunden hinweg, eine Art Anleitung, die man per Tastendruck aufruft: Das virtuelle Booklet kombiniert den Charme einer NES- oder Super-Nintendo-Anleitung mit selbst notierten Tipps & Tricks aus der Kindheit. Man findet dort zwischen all den Fantasielettern, auch (deutsche) Texte, die einem Items und Strategien erklären, erfährt z.B. wie lange der Fuchs während der Hechtrolle unverwundbar ist. An anderer Stelle sieht es tatsächlich so als, als hätte jemand mit Kugelschreiber auf die virtuelle Map gekritzelt – das Ding fungiert nämlich auch als clevere Karte, wo sogar die aktuelle Live-Position der Spielfgur vermerkt ist. Ihr werdet viele schöne Minuten mit dem Durchforsten dieser Ingame-Anleitung verbringen, immer wieder rätseln oder schmunzeln und euch freuen, wenn neu hinzugekommene Seiten endlich die Geheimgänge im Kloster andeuten oder kryptische Seitenverweise plötzlich Sinn ergeben. Ein ganz tolles Feature also, das man auch als altgedienter Zocker so noch nie gesehen hat.
Wer im Netz etwas über Tunic gelesen hat, dem ist vielleicht auch der ein oder andere, in diesem Tagen fast unvermeidliche Souls- oder Elden-Ring-Verweis vor die Füße gefallen. Da ist nämlich schon was dran: Nicht mal wegen der wirklich knackigen Bossgegner, die perfekte Reflexe und das Haushalten mit der Ausdauerleiste erfordern – sowas gab es schließlich schon lange vor Miyazakis Megahits. Sondern: Bei jedem Tod bleibt eine leuchtende Fuchs-Silhouette am Ort der Niederlage. Sackt ihr die beim nächsten Anlauf ein, verliert ihr keine Kohle und fügt anwesenden Feinden durch eine kleine Schockwelle im Optimalfall auch noch Schaden zu.
Am deutlichsten wird die Souls-Verwandschaft aber an Altaren, wo eure Spielfigur auf Knopfdruck ein Gebet spricht. Dadurch werden eure Leisten aufgefüllt und die Tranktasche wieder bestückt, aber auch sämtliche Gegner (minus Bosse) zum Leben erweckt. Das kann in den ersten Stunden nerven, füllt allerdings auch das Portemonnaie; zudem werdet ihr irgendwann viel stärker und kennt euch so gut aus, dass die auferstandenen Feinde in vielen Bezirken kaum eine Gefahr darstellen. An den Altaren kann man nämlich nicht nur beten, sondern auch durch Münzopfer die eigenen Offensiv- und Defensivfähigkeiten verbessern.
Wer sich an einem Levelwächter zum hundertsten Mal die Zähne ausbeißt, generell keine Lust auf Tode hat oder aufgrund einer körperlichen Beeinträchtigung die Kämpfe als zu herausfordernd empfindet, der sucht im Hauptmenü die Zugänglichkeits-Optionen. Dort kann man seinen Fuchs auf Wunsch unverwundbar machen oder ihm eine unendliche Ausdauerleiste verpassen. Ich hatte es mir, vor allem im letzten Spieldrittel, ein paar Mal überlegt, war dann aber letztlich doch zu stolz, um diese Hilfestellung der Entwickler anzunehmen.
Und eine neue Sprache samt Schriftzeichen von Grund auf zu entwerfen, hat absolut nichts mit Faulheit zu tun, ganz im Gegenteil, das ist ein enormer Zusatzaufwand:
https://www.thegamer.com/meaning-of-tun ... shouldice/
Mir entgeht der Reiz eines "übersetzten" Spiels das immer noch einen großteil der Beschriftungen nur auf japanisch anbietet. Hat zuallererst was mit Faulheit der Auftraggeber der Übersetzung zu tun.
Hat auch nichts mit Athmosphäre zu tun außer das man sich so gut rausreden kann. Aber gut da es im Gamepass ist war es zumindest kein rausgeworfenes Geld.