…in Nöten? Zwar ist es keine Prinzessin, aber immerhin die Freundin des Helden, die morgens mit einer kryptischen Lippenstift-Nachricht am Spiegel verschwindet. Also muss sich der kapuzencoole, aber urplötzlich zum Single degradierte Hacker Nathan auf die Suche nach Jay begeben. Dabei bewegt man ihn wie anno dazumal Guybrush in Monkey Island per Point und Click. Man kann Gegenstände vom Buch über die Pflanze bis zur Roboterfigur ansehen, einige benutzen oder in sein Inventar aufnehmen. Von reichlich Pixelcharme und elektronischen Beats begleitet (mehr zum Soundtrack bei den Kollegen von 4Sceners), stöbert man zunächst auf zwei Etagen nach Hinweisen.
Die erste wichtige Frage: Wo ist bloß der Code für den Aufzug? Ohne den kann man seine kleine Bude nämlich nicht verlassen. Also sucht man alles vom Bad bis zum Bett ab, sammelt Schraubendreher, Kreditkarte, Besen & Co ein, die man vielleicht mit Gegenständen bzw. der Einrichtung „benutzen“ kann – was meist eine dumme Idee ist. Schon in den ersten Abschnitten kommen Tech-Nerds auf ihre Kosten, denn das Interieur strotzt nur so vor Bezügen zur Spielkultur und es gibt Hightech-Gadgets von der AR-Brille bis zum Cyber-Handschuh. Die Auswirkungen einer quasi permanenten, staatlich kontrollierten Augmented Reality sind das Leitmotiv der Story, die inklusive digitaler Junkies und Orwell’scher Überwachung eine düstere Zukunft zeichnet.
Bladerunner lässt grüßen
Spätestens, wenn man das erste Rätsel gelöst hat und sich auf seine Maschine schwingt, um durch rosa Regen in die Stadt voller Reklametafeln zu düsen, entsteht gemütliches Blade-Runner-Flair. Und natürlich trifft man Downtown auf verschrobene, meist unfreundliche Gestalten vom Straßendealer bis zum Hehler, die man nach Hinweisen zu seiner Freundin befragen kann. Dabei ist die Tonalität der deutschen Texte und Dialoge angenehm frotzelig, auch wenn man Fragen leider nur durchschalten kann, ohne dass sich interessante Multiple-Choice-Gespräche ergeben. Immerhin gibt es bei mehrfachen Besuchen auch mal neue Optionen, aber hinsichtlich der Dialoge kocht man eher auf Sparflamme. Überhaupt ist das Finden von Indizien und Lösen von Rätseln sehr linear angelegt und gnadenlos strikt, so dass man öfter in Trial&Error-Situationen gerät, in denen man wirklich blöde Sachen ausprobiert, weil man nicht mehr weiter weiß.
Diesem Sackgassen-Gefühl hätte man abhelfen können, indem man offenere Lösungswege und subtilere Hinweise über die Kommunikation implementiert hätte. So läuft es darauf hinaus, dass man ganz nach alter Schule genau das tun muss, was die Entwickler wollen – es gibt übrigens keine optionalen Hinweise oder einblendbare Hotspots. Hinzu kommen einige unlogische Beschränkungen und seltsames Feedback: Warum zur Hölle kann man z.B. den Stromkasten trotz zweier Schraubendreher nicht öffnen? Warum bringt einem die Pizza für den Bettler tatsächlich eine sinnlose Trophäe, aber rein gar nichts im Spielverlauf, obwohl er doch was tauschen könnte? All das führt zu einigen frustrierenden Stellen, die man auch mit logischeren Bezügen oder alternativen Zielen hätte auflockern können. Aber keine Bange: Wer Point&Click-Adventure gerne spielt, der kennt und schätzt dieses Grübeln ja auch.
Gesellschaftskritik & SciFi-Flair
Vielleicht hätte man Experimentier- und Erkundungsreize erhöhen können, indem man besser kombinierbare Inventar-Gegenstände sowie früher die Potenziale von AR-Brille & Co ausgespielt hätte, die zu Beginn defekt ist: Um sie zu reparieren, wird man von A nach B geschickt, was in müßiges Holen und Bringen mündet. Auf der einen Seite freut man sich über jede neue Location, weil das Artdesign das Cyberpunk-Thema klasse einfängt, weil Graffiti, Reklametafeln, Terminals und Drohnen immer wieder visuelle Hingucker bieten. Auf der anderen Seite wird man in bekannten Arealen nicht mehr überrascht und die spielerische Qualität schwankt, denn es gibt auch einige zu sterile und wenig interaktive Schauplätze sowie Charaktere, die zu schnell zu Statisten werden. Diese Statik kennzeichnet natürlich viele Adventure dieser Art, aber sie fällt heutzutage noch mehr auf, weil man natürlich mehr Freiheit kennt – auch in diesem Genre.
Schön ist, dass es nicht etwa albern, sondern bei allem Humor klare gesellschaftskritische Töne über die knapp zehn Stunden Spielzeit gibt, die ja zur anarchistischen Seele des Cyberpunk gehören – und die auch im trotzigen Helden schlummert. Außerdem wird man von einer stimmungsvollen Kulisse mit einiger Interaktivität sowie simulierter Realität entschädigt: Man kann Schauplätze mit dem Bike wechseln, Geld abholen, sich an Automaten diverse Getränke ziehen, an Terminals News lesen oder sich in einer Dating App als Freundin ausgeben und mit den Kerlen oder Ladys chatten. Es gibt sogar einen Bestellservice für Pizzen, die tatsächlich per Drohne geliefert werden – und einiges davon ist immerhin aktiv in das Rätseldesign eingebunden. Hinzu kommen immer wieder stimmungsvolle Szenen und nicht zu vergessen einige Überraschungen, so dass die Defizite auf lange Sicht so kompensiert werden, dass einen jede noch so verflixte Lösung letztlich motiviert weiter knobeln lässt.
Zu schade, dass sie letztes Jahr im Februar von uns gegangen ist.
Ach ja: nachdem ich VirtuaVerse beendet hatte dachte ich mir, The Dig wird ein Kinderspiel. Weit gefehlt... das ist LucasArts pur. Da weiß man mal wieder, was "Moon Logic" eigentlich bedeutet
Also mal abgesehen davon, dass VirtuaVerse mein GOTY ist (jetzt, da ich es beendet habe), nochmal was anderes:
Ich hatte ganz vergessen, wie phänomenal die Sprachausgabe in The Dig gewesen ist!! Das ist nichts geringeres als die Crème de la Crème der Synchronsprecherzunft.