Raus aus der Zelle!
Bevor ich derart schamlos durch das Haus randalieren kann, muss ich aber erst einmal der Enge der schneeweißen Gummizelle entfliehen. Bereits dort komme ich mit ausdauerndem Einsatz der provisorischen Werkzeuge ans Ziel. Der genervte Wärter Stiesel verrät mir, dass der rettende Lüftungsschacht natürlich nicht direkt zu erreichen ist, sondern hinter den Polstern liegt. Hinter den ausgesprochen weichen Polstern. Nun ist es meine Aufgabe, den natürlichen Feind der quadratischen Wandkissen in der Zelle zu entdecken. Die ersten Rätsel fallen angenehm einfach und logisch aus – mit ein wenig Nachdenken und Probieren erarbeite ich mir schnell den Weg von einem Raum in den nächsten. Habe ich nach einigen Stunden den Zugang zu den meisten Räumen erschlossen, wird es allerdings kniffliger.
Dort treffe ich auf allerlei grenzgeniale Charaktere. Jeder von ihnen ist ein echtes Original und hat seine ganz eigene, liebenswerte Neurose. Hoti und Moti halten sich trotz unterschiedlicher Hautfarbe für siamesische Zwillinge und tragen daher den gleichen Pullover. Der mit norddeutschem Dialekt und einer gehörigen Portion Ordnungsliebe ausgestattete Kontrolleur sorgt dafür, dass nur Personen mit einem vorschriftsmäßigen Kleiderbügel-Ticket den Wäschelift als Transportmittel missbrauchen dürfen. Habe ich ihn überlistet, treffe ich auf Herrn Mantel, der sich für einen Gehrock hält und in einem Regenschirm durch den Wäschelift reist.
Droggelbecher!
Am unterhaltsamsten ist trotz seines geringen Wortschatzes ein anderer Insasse: der getreue Wächter des Aufenthaltsraum-Königs. Er artikuliert sich schlicht und einfach durch das unterschiedlich betonte Wiederholen seines eigenen Namens: Droggelbecher! Ich könnte noch seitenweise über die genial-verrückten Figuren und ihre Geschichten schreiben, doch am besten lernt ihr sie allesamt persönlich kennen. Sogar Entwickler „Poki“ taucht höchstpersönlich auf, und zwar in der trauten Runde einer Therapiegruppe für Spielentwickler, die ihre Sitzung rein zufällig in Ednas Anstalt abhält. „30.000 Zeilen allein im ersten Akt – was habe ich mir nur dabei gedacht?“ erzählt eine vor Verzweiflung zitternde Stimme, während die Stirn des Edna-Schöpfers auf die Tischplatte knallt.
Die Hand der genervten, Verständnis heuchelnden Therapeutin bewegt sich bei ihren Kommentaren skurril im Kreis. Jede der trashig gezeichneten Figuren hat sie – diese drei Animationsphasen, in denen sich ihr Mund, das komplette Gesicht oder eben irgendetwas anderes bewegt. Und obwohl es nur drei Variationen eines einzigen Bildes sind, wirkt jede davon angemessen albern. Als alter Hase fühlt man sich sofort an Klassiker wie Monkey Island und Maniac Mansion erinnert, die ganz unverhohlen als Vorbild dienten. Auf der Packung der PC-Version stand schließlich noch der augenzwinkernde Werbe-Sloagan „Von den Leuten, die Monkey Island gut finden!“.
Ich höre Stimmen…
In einen regelrechten inneren Zwiespalt gerate ich allerdings regelmäßig, wenn die Vertonung der Dia- bzw. Monologe erklingt. Wenn ich Ednas übernächtigter Psychopathenblick und ihre nicht selten zynischen, ausgeschriebenen Kommentare erblicke, höre ich in meiner Phantasie eine ganz andere Stimme als die von Alianne Diehl. Die macht ihren Job zwar nicht wirklich schlecht, klingt für meinen Geschmack aber viel zu brav. Im Nachfolger Harveys Neue Augen hat Daedalic die Vertonung deutlich besser hinbekommen. Dort gab es durch das vereinfachte Inventar- und Dialog-System allerdings auch viel weniger aufzunehmen. Andere Charaktere wie der Kontrolleur besitzen aber auch schon in Ednas erstem Abenteuer eine angenehme Stimme. Zum Glück lässt sich die Sprachausgabe jederzeit an- und abschalten.
Im Verlauf des Abenteuers treffe ich auf einige mysteriöse Figuren: Kann mir der düstere Schlüsselmeister, der wie Hannibal Lecter hinter Sicherheitsglas lauert, wirklich zur Freiheit verhelfen? Und in welchem Zusammenhang steht Ednas Aufenthalt in der Klappse mit dem bösen Anstaltsleiter Dr. Marcel und ihrem Vater? Um Licht ins Dunkel ihrer Amnesie zu bringen, unternimmt Edna an bestimmten Stellen des Abenteuers eine Gedankenreise in ihre Kindheit, im Fachjargon des Spiels „Tempomorphen“ genannt. In diesen Szenen schlüpfe ich abwechselnd in die Rollen der jungen Edna und ihrem Hasen Harvey. Der flauschige Pyromane kann Objekte aus seiner Umgebung allein nicht an sich nehmen oder benutzen, sondern lediglich in eine Themenleiste am unteren Rand ziehen. Danach spricht er Edna auf eines dieser Objekte an. In einem der Flashbacks sperrt der Lehrer Edna in den Schrank, weil sich die Petze neben ihr wiederholt mit streberhaftem Schnippsen über ihre störenden Selbstgespräche beschwert hat. Harvey kommt selbst nicht an ein Dokument im Schrank heran, kann seiner eingesperrten Freundin aber vorschlagen, dieses zu lesen. Da es in dem Kabuff viel zu dunkel ist, schlüpfe ich in ihre Rolle und reiche Harvey das Schriftstück durch ein kleines Loch nach draußen. Habe ich eine Hand voll Rätsel in einer Flashback-Episode gelöst, kehre ich mit einer neu erlernten Fähigkeit zurück – z.B. die, Schrauben mit einem nicht besonders appetitlichen Trick zu lösen.
Na dann hoffe ich einfach mal, dass auch eine Android Version erscheinen wird.
Wenn ja ist das Spiel gekauft.
Sprachausgabe und Textsprache kann man über die Spieloptionen auswählen.