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Call of Juarez (Shooter) – Call of Juarez

Die Chrome-Macher auf Abwegen: Teil zwei ist zwar schon in Arbeit, doch bis die Fortsetzung wieder in die Zukunft ruft, versetzt euch Call of Juarez einige Jahrhunderte zurück – in die Zeit als Cowboys auf den Boden spuckten und echte Männer Selbstjustiz übten. Hat Techland endlich wieder Futter für hungernde Western-Fans auf Lager oder haben die Polen dem Action-Alltag nur einen ungewöhnlichen Anstrich spendiert?

© Techland / Ubisoft

Was an den Ausflügen fasziniert ist die weitläufige Landschaft, in der sich Flüsse durch tiefe Täler schlängeln, Wälder mit flachem Gras ablösen und erst entfernte Berge den Horizont bilden. Oft erblickt ihr euer Ziel in weiter Ferne und wisst, dass euch ein langer Weg bis dorthin bevorsteht. Allerdings schafft es Techland nicht, seine prächtige Kulisse auch in der Distanz mit Details zu füllen. Die Weitsicht ist bemerkenswert und erzeugt eine einmalige Atmosphäre, aber wenn der Wald im Hintergrund nur aus groben Bäumen auf braunem Boden besteht, wird man schnell in die Wirklichkeit zurückgeholt. Und die besteht eigentlich aus beeindruckenden Grasstoppeln, Schattenwürfen und Lichteffekten wie sie die Weitsicht nur mit reduzierten Feinheiten stemmen kann. Das ist anderswo genauso, aber trotz der reduzierten Details frisst Call of Juarez mehr Rechenkraft als ich Gummitiere beim Spielen

Feuer! Die Flammen brennen nicht nur Kisten und Bösewichter nieder, sondern greifen auch auf benachbarte Gegenstände über.

(eine große Tüte in einer Stunde) verschlingen kann und braucht zudem ausgesprochen lange, um den nächsten Abschnitt zu laden.

Die Rache des Predigers

So richtig hat mich an Billys Streifzug aber erst das Schleichen gestört, denn das ist dem eines Garretts oder Fishers gnadenlos unterlegen. Grund dafür sind die Taugenichtse, die beim Bleiaustausch noch durch Stellungswechsel und dem Schießen aus der Deckung glänzen. Doch sobald ihr euch ungesehen durch ihre Reihen vortastet, kennen sie nur zwei Befehle: Sie laufen vorgefertigte Patrouillen oder stehen stur am Fleck. Falls ihr zu laut seid, werdet ihr entweder entdeckt und müsst den letzten Spielstand laden oder sie grunzen einen Kommentar, bewegen sich aber keinen Millimeter auf euch zu. Solange ihr also immer wieder schnell genug in Deckung geht, droht euch keine Gefahr. Allerdings könnt ihr die Wachen somit auch nicht von ihren Posten locken, um euch einen neuen Weg zu bahnen. Stattdessen seid ihr auf die feste Route angewiesen. Ich war noch nie ein Fan von Actiontiteln, die sich an halbherzigen Schleicheinlagen versuchen. Und obwohl ihr hier einen Großteil eurer Zeit damit beschäftigt seid, lautlos zu kriechen, reiht sich Call of Juarez nahtlos in die Riege dieser Halbherzigkeiten ein. Abgesehen davon, dass die Widersacher nur wenige Sprüche auf den Lippen haben und diese so oft wiederholen, bis sie euch zum Hals raushängen. Aber noch kennt ihr nicht die ganze Geschichte…

Erinnert ihr euch an den Pfarrer, der Billy bei seinen toten Eltern findet? Sein Name ist Ray McCall. Man könnte meinen, der schwarze Umhang zeugt von

Ab in den Wilden Westen!

seiner Profession – wären da nicht die zerfurchten Hände, in denen seine Bibel liegt. Und wären da nicht die Narben, über die der tiefe Hut seinen Schatten wirft. Und gäbe es da nicht zwei alte rostige Revolver in einer kleinen Nische seiner Kirche. Nein, McCall ist kein Prediger. Er hält sich für einen von Gott Auserwählten und zitiert die Worte des Herrn so eindringlich, als wolle er mit seiner Stimme allein die Apokalypse beschwören. Und er hat nur ein Ziel: Den Tod seines Bruders rächen, indem er ein Bleigewitter auf seinen Neffen Billy hageln lässt. Er ist ein dunkler Rächer mit noch düsterer Vergangenheit, der Darth Vader der Revolverhelden – und einer der coolsten Protagonisten der letzten Jahre.

Der schnellste Finger

Ein solcher Typ will von Anschleichen oder Heimlichtuerei nichts wissen: Er hat das Schießen perfektioniert und sucht den offenen Kampf. Dabei gibt sich McCall nicht damit zufrieden, eine Kanone auf die Gegner zu richten – er nimmt gleich zwei dazu. Das

Mit verklärten Lichtspielen erweckt Call of Juarez den rauen Westen zum Leben.

Tolle daran: Ihr dürft beide Abzüge unabhängig voneinander bedienen, was das Gefühl, aus zwei Händen zu ballern wie selbstverständlich rüberbringt. Aber McCall hat noch mehr auf dem Kasten. Steckt er die Schießeisen in die Halfter und zieht anschließend, verlangsamt sich für euch die Zeit. Ihr könnt also in Ruhe die beiden (!) von außen nach innen wandernden Fadenkreuze über eure Gegner legen und abdrücken.

Das reicht euch noch nicht? Dann legt doch eine der Pistolen an, haltet die Hand über der Sicherung und knallt den Bastarden das Magazin als Schnellfeuerladung in den Leib. Anschließend solltet ihr in Deckung gehen, denn eure Widersacher sind gute Schützen und das Nachladen dauert seine Zeit. Western-Fans finden in Call of Juarez fast jedes ihrer geliebten Klischees – alle anderen sollten allerdings vorsichtig sein. Denn so hervorragend Techland den Western aufbaut, so sehr verzetteln sie sich bei der Umsetzung. Es ist z.B. klasse, dass McCall seine Kanonen nicht wie von Geisterhand gleichzeitig nachlädt. Für euch heißt das aber: Ihr müsst die entsprechende Taste zweimal drücken. Deshalb kann es passieren, dass der Pfarrer jene Pistole lädt, die bereits mit Ladehemmungen streikt und in Kürze ihren Geist aufgeben wird. Mit der will ich aber vielleicht nicht in den nächsten Kugelhagel stürmen und so vergehen im heißen Gefecht wertvolle Sekunden.