Folgt man den manchmal etwas zu schnell durchrauschenden Texten, wird das absurde, mitunter herrlich triviale Element wieder aufgegriffen, das sehr gut zur Satire-Basis passt. Die Mutter z.B. ist die erste Heilfigur und gibt einem Lebenspunkte durch Umarmen zurück, während ihre Angriffe meist daraus bestehen, die Feinde in Grund und Boden zu schimpfen oder sie mit einem Schuldkomplex zu bearbeiten. Der Verschwörungstheoretiker hingegen, den man wie 40 andere skurrile Charaktere für sein Vorhaben rekrutieren darf, kann Gegner mit einer Diskussion verwirren oder sie mit einem Tazer bearbeiten. Das Schulmaskottchen hingegen zeigt seine Stärken vor allem beim Anfeuern der Mitstreiter, während der Bäcker einerseits die Gegner flambieren kann, aber seine Energiepunkte lieber für Backwaren als Heilmittel aufsparen sollte. Durch die mitunter sehr unterschiedlichen Herangehensweisen der einzelnen Figuren kommt eine starke taktische Ebene ins Spiel. Zwar gibt es bei der Gruppenzusammenstellung keine Sym- oder Antipathien, die man beachten muss, doch mechanisch harmonieren einige Charaktere besser miteinander – was man bei den Bosskämpfen definitiv einkalkulieren sollte: Wenn ein adipöser Fast-Food-Fan einen Herzinfarkt erleidet (auch hier kommt die Satire voll zur Geltung) und mit seinen Krämpfen einen Angriff auf die gesamte Gruppe loslässt, sollte man mindestens eine Figur dabei haben, die entweder Resistenzen stärken oder KO gegangene Mitstreiter wieder beleben kann.
Lieber Englisch
Obwohl die Texte im Allgemeinen ordentlich übersetzt sind, geht der Wortwitz des Originals immer wieder verloren. Ein Gegnertyp z.B., ein Hirsch, der auf dem Geweih als Gabel einen Telefonhörer angebracht hat und diesen auch zum Angriff verwendet, heißt im Original „Telefawn“, eine akustisch ähnliche Kombination aus „telephone“ und „fawn“ (Englisch für Kitz, Rehkitz) – da kann das deutsche „Telefaun“ als sinnfreier Ersatz nicht mithalten. Ein anderer hingegen, ein Vogel, der mit seiner Flügelanordnung und seinem langen Hals wie ein Anker aussieht, heißt „Anchory Bird“. Klingt im Zusammenhang plausibel, wird aber erst dann zu einer humorvollen Anspielung, wenn man es schnell spricht und irgendwann bei „Angry Bird“ landet.
Citizens of Earth ist gut gefüllt mit dieser Art Wortwitz, die sich erst beim Nach- bzw. Um-die-Ecke-Denken erschließt und der im Deutschen nur selten abgebildet wird. Da Humor aber angesichts der spröden Kulisse und trotz moderner Interpretation sehr konservativen Kampfmechanik eines der definierenden Merkmale des vizepräsidialen Abenteuers ist, sind anglophile RPG-Fans leicht im Vorteil und haben definitiv mehr vom Spiel. Ganz im Gegensatz von Rollenspielern, für die eine stimmungsvolle Musikuntermalung wichtig ist. Ähnlich wie die visuelle Seite ist auch die akustische kaum mehr als zweckmäßig. Die Kampfgeräusche sind mager. Die Musik ist langweilig, variantenarm und vergessenswürdig.
Missionsflut
Doch auch wenn man nicht alle Andeutungen und humoristischen Hinweise versteht und die Akustik mitunter abschreckt, gibt es viele Punkte zum Genießen. Denn bevor man die Qual der Wahl hat, wen man nun mitnimmt um die zahlreichen Haupt- und Nebenmissionen anzugehen (Wechsel sind jederzeit außerhalb des Kampfes möglich), muss man alle Figuren erst einmal davon überzeugen, sich in den Dienst des Vizepräsidenten zu stellen. Und nur selten ist es so einfach wie bei
dem Obdachlosen, der sich mit entsprechend umfangreich ausgeschütteter barer Münze dazu entschließt, sich von seiner Karton-Unterkunft zu verabschieden und einen zu unterstützen. Für die meisten anderen muss man besondere Aufgaben erfüllen, bevor sie sich einem anschließen. Die laufen zwar meist auf das Finden bestimmter Orte, Gegenstände oder Feinde hinaus, werden aber hinter mitunter kryptischen Andeutungen versteckt, die man erst einmal entschlüsseln muss. Und mitunter muss man höllisch aufpassen, um sich nicht zu verzetteln. Denn eine Figur z.B. schließt sich einem erst dann an, wenn alle anderen Charaktere Stufe 20 erreicht haben – wohl dem, der nur wenige Bürger dabei hat.
Ebenfalls schön: Nahezu alle NPCs haben eine Sonderfunktion, die sich nachhaltig auf die Spielsysteme auswirkt bzw. wie bei den Zelda-Spielen neue Gebiete zugängig macht. Das können kleine Annehmlichkeiten sein wie der Obdachlose, mit dem man Mülltonnen nach Wertgegenständen durchsuchen kann. Da ist der Bäcker, bei dem man schon vor seiner Rekrutierung Backwaren als Heiltrankersatz kaufen kann. Beim Lehrer kann man gegen harte (In-Game)-Währung seine Figuren in den Unterricht schicken, um Erfahrungspunkte zu sammeln – für den jeweiligen Zeitraum stehen sie allerdings nicht zur Verfügung. Man kann das Wetter oder die Tageszeit verändern, selbst der Schwierigkeitsgrad kann manipuliert werden. Bei der Architektin kann man Brücken in Auftrag geben, dir vorher nicht erreichbare Areale verfügbar machen. Die Pilotin kann einen als Teleportersatz direkt an Hubschrauberlandeplätzen absetzen usw. So bekommt das an der Oberfläche derart spröde Retro-Rollenspiel eine unerwartete, wenngleich meist optionale Tiefe – schön!
Weitgehend vorgegeben
Doch nicht alle Spielsysteme können uneingeschränkt überzeugen. So ist z.B. der Fähigkeiten-Fortschritt der einzelnen Figuren bei einem Aufstieg vorgegeben. Als Verbeugung vor den Klassikern ist dies zwar verständlich, doch angesichts der zahlreichen Manipulations-Möglichkeiten, die einem von Citizens of Earth zur Verfügung gestellt werden, hätte man hier auf das Nachstellen eines Retro-Gefühls verzichten können. Immerhin: Je nachdem, welche Charaktere beim Aufstieg in der Gruppe sind, werden zusätzlich zu den Basissteigerungen einzelne Werte gesondert gefördert, wodurch die Figurenauswahl nochmals gestärkt wird. Und man kann seine erspielten Stufen „opfern“, um Punkte zu gewinnen, die man wiederum auf seine Standardwerte wie Angriff, Verteidigung, Effektivität der Spezialattacken etc. verteilen kann. Auch hier wird deutlich, dass Eden Industries nicht nur die Retro-Rollenspiele wie Earthbound studiert hat, das allerdings trotz einiger Ähnlichkeiten im Grundton deutlich düsterer ausfällt, sondern auch moderne Klassiker wie die Disgaeas mit ihren unglaublich gut verzahnten Systemen und Mechaniken zitiert.
Meinen Geschmack triffts, leider noch keine Ps4. Werde es mir mal im Hinterkopf behalten, wenn in 1-2 Jahren die neue Konsole ins Haus kommt.
Mhh, ich bin jetzt schwer am überlegen...ich habe das Spiel schon in meiner Beobachtungsliste, da ich riesiger Earthbound Fan bin.
Allerdings löst es beim betrachten dann doch immer wieder nur die Lust in mir aus, meinen SNES anzuschließen und das Modul einzuwerfen.
Aber ich denke ich werde es mir nächste Woche gönnen, mehr Humor und gut gemachte ähnliche Titel zu einem grandiosen Original sind ja doch immer einen Blick wert.
Nur mal so als Vorwarnung: Das Spiel stürzt auf der Vita (und auch auf der PS4 soweit ich gelesen habe) regelmäßig ab - vor allem bei Gebietsübergängen von denen es haufenweise gibt. Zwar folgt der Absturz immer erst nach dem Autosave, aber störend ist es trotzdem.
Außerdem hab ich es heute geschafft, dass ich in unbegehbaren Gebiet feststeckte. Ich konnte auf dem Meer laufen - kam aber nicht mehr zurück aufs Land. Zum Glück konnte ich nen weiteren Bug provozieren und landete wieder an Land Also eventuell noch etwas warten. Das Team arbeitet immerhin daran.
Hallo zusammen,
kann jemand etwas über die Spielzeit sagen?
Würde meiner Vita gerne mal wieder Futter gönnen...
Bin am überlegen mir die Version für den 3DS zu holen, ist ja glaub Momentan im Angebot.
Als Fan von Atlus (vor allem Etrian Odyssey) kann ich denk ich nicht zuviel falsch machen :wink: