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Escape from Paradise City (Rollenspiel) – Escape from Paradise City

In Paradise City ist die Hölle los, das wissen wir spätestens seit Gangland: Normalen Alltag kennt diese Stadt nicht, es regiert die Mafia. Nachdem ihr im inoffiziellen Vorgänger zu Escape from Paradise City zum Paten aufgestiegen seid, lenkt ihr heuer die Geschicke dreier Gesetzloser, welche den Mob infiltrieren und eine gefährliche Verschwörung aufdecken sollen. Gangland war ein Mix aus Action und Strategie mit wenig Handlungsfreiraum – welchen Anspruch verfolgt die Quasi-Fortsetzung?

© Sirius Games / Focus Home, Frogster Interactive

Eine größere Wahl habt ihr immerhin in Bezug auf die Fertigkeiten der drei Charaktere, denn ihr baut nicht nur deren Reservoir an Attacken und Verteidigungen auf, sondern greift auch auf so genannte Machtfähigkeiten zu. Dabei stehen allen „Gute-Menschen-Gaunern“ dieselben Fähigkeiten zur Verfügung, weil es sich um Unterstützung seitens der NSA handelt. So könnt ihr ein Fahrzeug anfordern, Soldaten an eure Seite rufen, ein Areal mit Giftgas „reinigen“ oder Autobomben platzieren. Weil ihr gegen das Bare, welches ihr nach der Übernahme von Stadtvierteln erhaltet, zudem eine Hand voll Gangster (Faustkämpfer, Schützen, Heiler oder Kundschafter) einstellen und gelegentlich den (viel zu kleinen!) Rucksack mit Medizin, Rüstung oder besseren Waffen füllen müsst, während euch kein Zeitlimit in den Rücken fällt und ihr die Viertel in beliebiger Reihenfolge übernehmen dürft, entwickelt das

Atmosphärische Tag- und Nachtwechsel begleiten euren Gangster-Alltag.

Spiel nach dem ungemütlich zähen Einstieg bald eine wohltuende Eigendynamik. Kümmert ihr euch wahlweise um die Bedürfnisse der Zivilisten und beseitigt bestimmte Verbrecher oder beschützt die Auftraggeber auf ihrem Weg zum Zielort, winken zudem mehr Zaster, zusätzliche Erfahrungs- oder Machtpunkte sowie wertvolle Gegenstände.

Flache Erzählgewässer

In diesen Zivilisten spiegelt sich allerdings die Schwäche, an der Paradise City krankt: Die Aufträge sind vom Zufall generierte Missionen ohne erzählerischen Hintergrund. Ein Textfenster, in das Aufgabenstellung und zu erwartende Belohnung im Baukastenprinzip eingefügt werden, ist alles, was sie zu bieten haben. Und genau diese Lieblosigkeit zieht sich durch die gesamte Stadt. Händler stehen als seelenlose, uniforme Figuren in Bars oder Hotellobbys am Fleck, vorbei fahrende Autos klingen wie Staubsauger, feindliche Gangster holen in der Unterzahl zwar Unterstützung, warten sonst aber regungslos darauf, angeklickt zu werden, Zivilisten plappern die immer gleichen (ausschließlich englischen) Sprüche und sind sonst nur Teil der Kulisse. Die Bosse der vielen Stadtviertel dienen ebenfalls nur als Klickfenster für Angriffe – sie unterhalten sich nicht mit euch, agieren kaum selbstständig und stellen selten eine nennenswerte Bedrohung dar. Kurz: Wo der geistige Vorgänger Gangland ein pointiertes Mafiamilieu erschuf, ist Escape from Paradise City ein müdes Action-Rollenspiel ohne Tiefe. Kurze Einsatzbesprechungen sind der Gipfel des Handlungsrahmens, doch ob ihr Bösewicht X oder Fiesling Y erledigen müsst, ist spielerisch nahezu belanglos. Und auch wenn die farbenfrohe Stadt trotz einer Fernsicht von gerade mal 200 Metern ein charmantes Comic-Bild samt stimmungsvollem Tag-, Nacht- sowie Wetterwechsel zeichnet: Dass die begrenzten Einsatzgebiete kein Vergleich zu den weiten Welten eines Loki oder Hellgate: London sind, pflichtet der erzählerischen Schwäche nur bei.

Der taffe Engel

Zumal sich Sirius auch mit technischen Mängeln von der Konkurrenz abgrenzt. So könnt ihr die Kamera von der übersichtlichen Luftansicht in eine bodennahe Perspektive wechseln – was völlig sinnfrei ist, da ihr so nicht auf den Großteil eurer Machtfähigkeiten zugreifen dürft. Warum haben es die Entwickler nicht bei ihrer „Strategieansicht“ belassen und sie lediglich mit einem stärkeren Zoom nach unten versehen? Dann müsste man sich auch nicht mit der unglücklichen Steuerung des „Action-Modus“ quälen.

Mit der Actionansicht könnt nah ans Geschehen fahren – gut steuern lässt sich das Action-Rollenspiel so allerdings nicht.

Denn die Figuren bewegen sich dort nicht relativ zu der per Maus gewählten Blickrichtung, sondern laufen mit einem Druck auf „vorwärts“ stets nach vorne – zur Not genau in den Kameramann hinein. „3rd-Person-Action“ ist den Entwicklern scheinbar kein Begriff.

Es ist zudem wenig sinnvoll, dass der jeweils oberste Gegenstand im Rucksack per Schnellwahltaste genutzt werden kann. Sprich: Ihr bestimmt die wichtige Medizin für den schnellen Einsatz im Kampf nicht, wie sonst üblich, selbst. Stattdessen wühlt ihr in den ohnehin oft unübersichtlichen und schnellen Gefechten im Inventar. Da ist es nicht gerade hilfreich, dass ihr im pausierten Zustand keine Aktionen ausführen dürft… Das ist besonders ärgerlich, wenn ihr mit Boris unterwegs seid, dessen Spezialität das Anwerben und Dirigieren von Handlangern ist. Der ehemalige Polizist ist im Gegensatz zu seinen Ergebenen nämlich so verwundbar, dass ihr nach bleigeladener Hektik häufig einen Speicherstand laden werdet. Um ein Ableben der taffen Angel braucht ihr euch hingegen kaum Sorgen machen. Aber selbst die Nahkampf-Spezialistin braucht Unterstützung – so wartet ihr denn mitunter Minuten, bis sich die Leiste für den Einsatz der Machtpunkte wieder gefüllt hat und fragt euch, ob es schwierig gewesen wäre, eine Funktion zum Vordrehen der Zeit einzubauen… „Glück im Unglück“ gilt für die gelegentlichen Abstürze nach Missionsende. Denn die werfen euch zwar aus dem Spiel, das unmittelbar davor allerdings einen Speicherpunkt setzt.