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Multiwinia: Survival of the Flattest (Taktik & Strategie) – Multiwinia: Survival of the Flattest

Stille. Regungslose Ampelmännchen schweben lautlos über einfarbigen Maschendrahtzaun. Plötzlich ein Knall und tausend Pixel zerplatzen mit einem mechanischen Stöhnen. Jetzt beginnt das Rattern und Zischen. Hunderte Lasergeschosse blitzen auf eine Hand voll Geschütztürme zu. Nur als eine heulende Sirene einen Atomschlag ankündigt, hält das minimalistische Spektakel kurz die Luft an. Dann fliegen plattgedrückte Pappraketen in großen Ellipsen auf die ebenso flachen Protagonisten zu. „Überleben des Flachsten“ untertitelt das Hauptmenü: Multiwinia bedeutet Krieg!

© Introversion Software / Introversion Software

Einfacher ist zum Glück die Handhabung der erwähnten Gruppen: Klickt auf irgendeinen Multiwinianer und wählt das Symbol für Formation. Jetzt (und praktischerweise auch jederzeit später) stellen sich alle freien Männer aus der Umgebung in Reih und Glied vor dem Offizier auf, marschieren fortan gemeinsam und kämpfen vor allem effektiver. Im Gegenzug kommen sie nicht so schnell vom Fleck wie ihre ungebundenen Kollegen. Beide legen jedoch eine fragwürdige Wegfindung an den Tag, wenn sie z.B. den taktisch

Diese Rakete müsst ihr in Rocket Riot durch Einnehmen von Solarzellen betanken, bevor eure Multiwinianer an Bord dürfen.

sinnlosen Umweg über eine fast senkrechte Bergwand nehmen oder sich gar selbstständig in einem Fluss ersäufen.

Per Zufall ans Ziel?

Indem ihr also den Nachschub in Richtung Front dirigiert, wo ihr eure Papp-Kämpfer (es sind tatsächlich Sprites!) möglichst effektiv vor dem Gegner aufbaut, besetzt ihr entweder die meisten Brutpunkte (Domination), nehmt markierte Zonen ein (King of the Hill), schnappt euch eine Statue und beschützt deren langsame Träger auf dem Weg zum Ziel (Capture the Statue), stürmt schwer bewachte Stützpunkte oder verteidigt selbige  (Assault), nehmt lange genug Solarzellen ein, damit ihr eure Rakete schneller mit Treibstoff füllt als der Gegner seine (Rocket Riot) oder besetzt markierte Zonen, bevor ihr endlich das feindliche Hauptquartier stürmen dürft (Blitzkrieg).

Wie gesagt: Weil man stets nur Einheiten schiebt und eine Partie laut Voreinstellung ohnehin nur zwischen fünf und 15 Minuten dauert, halten sich Abwechslung und Langzeitmotivation in engen Grenzen. Eine Partie gegen gleich starke Gegner kann zwar unglaublich packend sein, dieser Effekt verpufft allerdings recht schnell, sobald man ein paar solcher kurzen Runden hinter sich hat. Multiwinia fehlt einfach der Tiefgang, um dauerhaft an die Maus zu fesseln. Immerhin lockern aber teils sehr mächtige Extras den Ablauf in sämtlichen Spielvarianten spürbar auf – ausgerechnet dieses Zufallselement sorgt oft am ehesten für Spannung.

Blitzender Retro-Lack

Da fallen nämlich in regelmäßigen Intervallen Kisten vom Himmel, und sobald eure Multiwinianer den Inhalt aufgelesen haben, dürft ihr die Extras einsetzen. U.a. gibt es Transporter, die bis zu 100 eurer Mannen schnell und sicher ans Ziel bringen sowie mit Soldaten besetzbare Geschütze und Flammenwerfer. Ihr erschafft außerdem Wälder, welche die Seelen feindlicher Krieger stehlen, macht eure Soldaten kurzzeitig unverwundbar,

Die mächtigen Extras wirbeln viel Staub auf dem Drahtgitter-Teppich auf.

lasst sie besonders viel Schaden anrichten oder ihre Feinde zu Verbündeten konvertieren. Ihr könnt auch Meteoritenschauer auslösen, Atomwaffen abschießen oder einfach Napalm über den einfarbigen Strichgegnern abwerfen. Wer stets schnell genug Extras sammelt und für den richtigen Zeitpunkt aufhebt, erarbeitet sich wichtige Vorteile. So entstehen kleine Höhepunkte, die in dem strahlenden Retro-Lack zum Leben erweckt werden, der Darwinia so einzigartig machte.

Es ist faszinierend, wie frisch die technische „Notlösung“ der Independent-Entwickler selbst in Anbetracht aktueller Grafikwunder wirkt – der visuelle Eindruck ist mit Abstand das Eindrucksvollste an Multiwinias Digi-Krieg! Schade, dass man auf den von Tron geklauten Kulissen nicht einmal eigene Start-, Brutpunkte oder andere Bausteine festlegen kann; der Langlebigkeit hätte das ähnlich gut getan wie ein weltweites Ranglistensystem, eine Lobby oder wenigstens ein Chatfenster, während man auf Mitspieler wartet. Für einen reinen Multiplayer-Titel bietet Introversion einfach eine Idee zu wenig. Immerhin dürft ihr vor jeder Partie etliche Parameter, u.a. Spieldauer, Intervalle zwischen den Abwürfen der Extra-Kisten sowie die Zählweise für die Endabrechnung abändern. Auf Dauer schaffen es aber auch diese Zugaben nicht, die immer wieder zuschnappende Motivationsbremse zu lösen. Multiwinia ist der Snickers unter den Taktikern: zwischendurch lecker, auf Dauer kaum nahrhaft.