Phoenix Point fühlt sich so an, als hätte man das alte UFO: Enemy Unknown (1994) oder X-COM: Terror from the Deep (1995) mit den neuen Ablegern von Firaxis Games (XCOM – 2012 und XCOM 2 – 2016) gekreuzt. So richtig überraschend ist dies nicht, denn der Chef-Entwickler bei Snapshot Games ist Julian Gollop, der zusammen mit seinem Bruder Nick, das Spieldesign des Klassikers entwarf. Und wie in den bisherigen XCOM-Teilen muss eine kleine Militärorganisation eine globale Invasion außerirdischer Herkunft zunächst erforschen und dann bekämpfen. Diesmal bedrohen ein Alien-Virus und mutierte See-Kreaturen die Menschheit …
Das sogenannte Pandoravirus schaltete nicht nur einen Großteil der Bevölkerung aus, sondern erschuf auch Mischwesen aus Menschen und Meereskreaturen, die aus den Ozeanen auftauchten. Zusammen mit ihrem charakteristischen roten Nebel breiten sich die Hybridkreaturen aus und gieren nach dem blauen Planeten. Vor diesem Hintergrund buhlen drei Fraktionen um die Gunst der letzten Überlebenden auf der Erde, während sehr wenige Militär-Angehörige versuchen, das vergessen geglaubte Project Phoenix wiederzubeleben und die Menschheit doch irgendwie zu retten …
Ohne Bezug zu den Charakteren und ohne eigene Präsenz (keine eigene Spielfigur) wird man als Spieler direkt und unbeholfen als Leiter von Project Phoenix tätig. Man wird plump in das Geschehen geworfen, bekommt aber immerhin einen Teil der relevanten Spielmechaniken erklärt, bevor die eigentliche Weltrettung beginnt, die sich wie in den anderen XCOM-Teilen in zwei Teile gliedert: das strategische Basis- und Truppen-Management auf der „Geoscape“ genannten 3D-Weltkarte und die taktischen Kampfeinsätze auf separaten Schlachtfeldern. Da die Taktikgefechte den Großteil der eigentlichen Spielzeit ausmachen und nicht automatisch berechnet werden können, werde ich mit diesem Spielelement beginnen.
Soldaten auf dem Taktik-Schlachtfeld
Die taktischen Kämpfe entbrennen, sobald man ein Soldaten-Team mit einem Flugzeug zu einem Einsatzort schickt und dort Gegner lauern – oder wenn man die anderen Fraktionen aktiv angreift oder verteidigt. Vor dem Einsatz können und sollten die Soldaten mit genug Munition und Verbrauchsgegenständen wie Granaten, Erste-Hilfe-Paketen etc. versorgt werden. Nach der Landung dürfen die eigenen Leute teamweise im Runden-Modus bewegt bzw. gezogen werden. Im Vergleich zu XCOM sind die taktischen Kampfmöglichkeiten eine Spur komplexer, obgleich das zweistufige Deckungssystem und der Kamera-Wechsel beim Angriff schon stark an die Spiele von Firaxis erinnern. Allerdings können die Soldaten mehr als nur zwei Aktionen durchführen. Die Beschränkung für die Aktionen sind vielmehr die zur Verfügung stehenden Aktionspunkte und die Kosten pro Aktion. Je nach Soldat kann man z.B. Nachladen, Feuern und danach noch „Overwatch“ aktivieren. Oder zweimal Attackieren. Oder eine beachtliche Strecke zurücklegen.
Die Soldaten gehören bestimmten Klassen an, die ihre Fähigkeiten und „Aufgaben“ auf dem Schlachtfeld definieren und mit gewonnener Erfahrung können neue Talente freigeschaltet werden, wie z.B. das enorm mächtige Zurückschießen bei Beschuss. Ab Stufe 4 kann eine zweite Klasse gewählt werden. Jeder Soldat verfügt über drei Werte, die sich ebenfalls verbessern lassen: Stärke schlägt sich bei den Gesundheitspunkten und der Inventargröße nieder, Geschwindigkeit beeinflusst das Bewegungspotenzial und die Willenskraft sorgt für die Moral sowie als Ressource für den Einsatz von Spezialfähigkeiten. Darüber hinaus können die Leute mit Waffen und Rüstungen (Helm, Torso, Beine) versorgt werden. Schade nur, dass das Vergleichen von Gegenständen und das Inventar-Management auf der Basis eher umständlich sind. An die zahlreichen Individualisierungs- und Ausrüstungsmöglichkeiten wie in XCOM 2 kommt Phoenix Point aber nicht heran.
Freies Zielen auf Gliedmaßen
Beim Angriff kann man aus der Standard-Perspektive feuern oder man setzt auf das freie Zielen. Hierbei fällt auf, dass es keine genre-typische Treffer-Wahrscheinlichkeit gibt. Stattdessen wird das Schadenpotenzial anhand einer Leiste am oberen Bildschirmrand angezeigt und zwei hellblaue/blassblaue Kreise zeigen die Trefferbereiche plus mögliche Streuung an. Die Geschosse, Projekte oder Strahlen werden je nach Waffentyp physikalisch semikorrekt simuliert und wenn irgendetwas im Weg ist, wird womöglich die Umgebung beschädigt/zerstört, aber nicht der Gegner. Vorsicht: Auch eigene Leute können getroffen werden, deswegen sollte man einen Mindflagger, der sich auf die Köpfe von Soldaten setzen und diese via Gedankenkontrolle übernehmen kann, nicht unbedingt mit der Schrotflinte entfernen. Setzt man auf die normalen Standard-Schüsse, kann es sein, dass die Treffer in irgendeinem Objekt landen oder im endlosen Nichts enden. Stellenweise sind die Fehlschüsse nachvollziehbar, aber längt nicht immer. Dank des freien Zielens kann man „auf Verdacht“ in die weitgehend zerstörbare Kulisse (Terrain/Umgebung sind fix) schießen, falls man irgendwo einen Gegner vermutet.
Das freie Zielen ist vor allem interessant, wenn man den Gegner gezielt schwächen will. Wie beim VATS aus Fallout können bestimmte Teile des Gegners anvisiert und „deaktiviert“ werden – „deaktiviert“, wie es unglücklicherweise in der deutschen Version heißt. „Deaktiviert“ man den Kopf, ist die Figur nicht tot, sondern verliert nur massiv Willenskraft. Auf diesem Weg kann man Gegner auf weite Bahn z.B. mit Scharfschützengewehren entwaffnen, wenn man auf Arm oder Waffe feuert. Die Bewegungsmöglichkeiten können mit Beinschüssen plus Blutungen eingeschränkt werden. Sogar Waffen und Panzer/Schilde verfügen über eigene Trefferpunkte. Das Gliedmaßensystem kommt auch bei den die eigenen Leuten zum Einsatz. Wird z.B. ein Arm „deaktiviert“, kann man sich die Benutzung des Scharfschützengewehrs schenken und muss zu einer Pistole greifen, sofern man eine mitgenommen hat.
Die Evolution der Gegner
Da sich die Gegner im Spielverlauf „weiterentwickeln“ und auf einmal mit Granatenwerfer, Giftflächenattacken, Schilden/Panzerungen oder anderen dicken Waffen auflaufen, sind die gezielten Attacken wirklich wichtig und ein tolles Element zur Vertiefung der taktischen Möglichkeiten.
Problematisch ist hingegen die dynamische Steigerung des Schwierigkeitsgrades durch die Evolution der Gegner. Das Konzept ist gar nicht verkehrt, aber die Sprünge des Schwierigkeitsgrades sind zu abrupt und können in frustrierend schweren Kämpfen enden, die nicht schwer sind, weil man taktische Fehler gemacht oder falsche Entscheidungen getroffen hat, sondern weil der Feind sprunghaft stärker wurde. Gerade wenn die Gedankenkontrolle oder der Granateneinsatz überhandnimmt, wird es hässlich. Dieser Anstieg fühlt sich zu stark bzw. zu streng an, selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad. Die Ausbalancierung der dynamischen Schwierigkeitssteigerung ist also verbesserungsbedürftig, schließlich ist es schon seltsam, wenn die ersten zehn Stunden problemlos machbar sind und dann der Hammer unbarmherzig zuschlägt …
Abgesehen von den Mind Control-Aliens. Das war 100% Bullshit.
Also bei mir läufts vernünftig, wurde wohl ordentlich gepatcht.
Das Problem an XCOM ist, dass es zum Ende immer leichter wird weil da dann keine Herausforderung mehr kommt. Da ballert man auch die mächtigstens Gegner mit einer Runde weg, je nach Kombo reichen auch nur 2-4 Leute. Dafür ist es am Anfang hart. Keiner kann irgendwas und fällt sofort tot um.
Das alte 90er Spiel war halt RNG extrem, hat man da n falschen Schritt gemacht, game over.
Irgendwann muss ich PP noch mal ausprobieren. Falls das inzwischen mal sauber läuft.
Idk, das 90er XCOM war imo gar nicht so kompliziert. Alleine die Steuerung ist halt recht zäh, da fehlt viel Quality of Life. Aber ansonstent sind die Taktikkämpfe an sich sehr simpel und gradlienig.
Dagegen hat ein XCOM2 weniger Soldaten und kleinere Maps, aber auch tausend mächtige Fähigkeiten von Freund und Fein, ständigen Zeitdruck, etc. Ist nicht gerade entspannend oder Simpel. Es ist teils unberechenbar.
Der Schwierigkeitsgrad in XCOM2 spiegelt imo die Probleme mit dem Spiel wieder: Auf Normal ist es eigentlich zu leicht, du verlierst fast nie Soldaten. Obwohl (seltene) Verluste eigentlich teil der Spannung ausmachen sollen.
Wenn ich das Ding auf Schwer stelle, dann ist es frustrierend, weil die begrenzten Aktionen, mächtige Fähigkeiten und Zeitdruck wenig Raum für echte Taktik lassen. Da braucht es regelrechtes Metagaming, wenn du nicht vieles dem Zufall überlassen willst.
Das ist auch ordentlich "schwer", nur halt auf eine schlechte Art. Zu viel Zufall.
Ich denke ein XCOM2 will schon ein Hardcore-Taktik Ding sein, streamlining oder nicht. Aber unabhängig davon fehlt etwas am taktischen Kern, und PP zeigt da ein par erstaunlich effektive Verbesserungsmöglichkeiten.
Alter Totenbeschwörer.
Ich halte die XCOM Reboots nicht für Hardcore Taktik, man kann es sicher so drehen mit Impossible + Ironman, aber Normal, ist halt auch normal. Und das ist gut so. Die 90er Spiele waren echt heftig und wenig spaßig für mein junges Ich.
KA ob Phoenix Point später zu viel Grind auf der Weltkarte wird, mag sein. Aber die taktischen Kämpfe an sich sind imo schon ein echter Fortschritt. Ich bin beeindruckt, wie ein par Änderungen bei Bewegungen/Aktionspunkten/Zielgenauigkeit/etc so viel taktischere Kämpfe erzeugen, als beim neuen XCOM.
Ich hoffe, Firaxis nimmt sich daran ein Beispiel. Das neue XCOM macht Laune, aber die Kämpfe fühlten sich taktisch immer sehr limitiert und unnatürlich an, was bei einem vermeintlichen Hardcore-Taktikspiel sehr problematisch ist.
Es ist okay, wenn ein Spiel Fehler bestraft oder man manchmal einfach Pecht hat, aber dann muss man den Spielern auch genügend Freiraum geben, um darauf zu reagieren, ohne auf Metagaming zurückzugreifen. Das war bei Firaxis' Version von XCOM immer ein Problem.