Tod, Leben und Überleben: Diese Themen ziehen sich erzählerisch nicht nur durch die bisherigen Titel von Supergiant. Auch Pyre setzt von der ersten Szene auf diese Elemente. Der Spieler wird von einem merkwürdigen Trio (darunter auch ein weiblicher Dämon und ein charmanter anthropomorpher Hund) vor dem scheinbar sicheren Tod in der “Unterwelt” gerettet. Dieser unwirtliche Ort ist das unfreiwillige Exil der Truppe, die sich genau wie der Spieler Verfehlungen im “Commonwealth” geleistet hat, einer immer wieder in Gesprächen auftauchenden Gesellschaft, die irgendwo zwischen kommunistischer Diktatur und Eden zu stehen scheint. Doch das Zusammentreffen ist eine schicksalhafte Begegnung. Die drei gehören zu den so genannten “Nightwings”, einer von zahlreichen Gruppierungen, die in der Unterwelt an “Riten” teilnehmen, um schließlich begnadigt zu werden und wieder in den Commonwealth zurückkehren zu können.
Und wie es der Zufall so will, suchen sie einen “Leser”, der ihnen durch das Entziffern von Sternenkonstellationen sowie im wahrsten Sinne des Wortes per Dechiffrieren eines Buches, nein: DES Buches den Weg zum nächsten Ritual weist. Der Spieler wird ohne großes Aufheben zum Quasi-Anführer der Truppe, die im Lauf der Zeit noch weitere Mitglieder (z.B. ein abtrünniger Schlangenritter, ein knuddeliger Minidämon oder eine Harpie) in der farbenfrohen, aber stets bedrohlich wirkenden Welt, aufnehmen wird. Bis zu acht Recken finden in dem eigentlich viel zu klein scheinenden (es muss ein Dimensionszauber sein) Wagen Platz, den man anfangs noch mühsam von Schauplatz zu Schauplatz und schließlich zum Ritual lenkt. Später kommen komfortablere Bewegungsformen hinzu, während der Weg zum Ziel deutlich offener wird und einem häufig mehrere Auswahlmöglichkeiten gibt.
Entscheidungen, Emotionen, Konsequenzen
Man wird allerdings schon früh in den gut bis sehr gut geschriebenen Dialogen, die mit einer Fantasy-Sprache zu akustischem Leben erweckt werden, vor Entscheidungen gestellt. Diese haben aber zu Beginn kaum dramatische Auswirkungen. Man kann in (freiwilligen) Gesprächen mit seinen Kameraden Fragen stellen, um sie etwas besser kennenzulernen ihre Geschichte bzw. Beweggründe für die Teilnahme an den Ritualen zu erfahren oder besondere Missionen freizuschalten. Aber spätestens wenn man sich bei einer größeren Auswahl an Figuren für diesen oder jenen Charakter entschieden hat, der als Teil des auf ein Trio beschränktes Team im Ritual kämpft und danach zur Rede gestellt wird, können Situationen auch eskalieren. So kann es z.B. vorkommen, dass dieser oder jener Kämpfer sich weigert, anzutreten, wenn man ihn (oder sie) zu lange ignoriert. Und später wird man buchstäblich zum Meister über Leben, Tod und Erlösung, wenn man im Ritual darum spielt, ein Mitglied der Nightwings in den Commonwealth schicken zu dürfen. Da man zu diesem Zeitpunkt über die Gespräche nicht nur eine emotionale Bindung zu den Figuren aufgebaut hat, sondern auch ihre Vorteile im Kampf des Rituals zu schätzen gelernt hat, ist es eine mitunter diffizile Entscheidung.
Sehr schön: Es gibt in dieser Hinsicht kein Scheitern oder die Reduktion auf richtige bzw. falsche Entscheidungen. Man wird nicht von Pyre be- oder gar verurteilt. Aber man muss mit seinem Gewissen klarkommen – und mit den Emotionen der anderen Nightwings, die je nach Figur sehr unterschiedlich auf die Erlösungen ihrer Kameraden reagieren. Dabei schafft es Supergiant mit einem Visual-Novel-Stil, der irgendwo zwischen den Disgaea-Spielen von Nippon Ichi und Vanillawares Dragon’s Crown liegt, das Kunststück, einen emotional zu packen und in die merkwürdige Welt zu ziehen. Auch dank eines spielerisch eigentlich unerheblichen, aber für die Atmosphäre und Glaubwürdigkeit der Welt effektiven Kniffs: Bestimmte Worte der Texte sind rot markiert. Fährt man mit dem Cursor darüber, bekommt man einen kleinen Hilfetext angezeigt, der quasi aus dem “Unterwelt-Almanach” stammt und zusätzliche Details über Figuren, Orte und mythologische Hintergründe verrät. Aber nicht nur in den Gesprächen warten Entscheidungen. Auch auf dem Weg zum jeweiligen Ritual-Platz wird man immer wieder mit Wahlmöglichkeiten konfrontiert. So haben nicht nur Routenvorschläge häufig direkt mit einem Teammitglied zu tun, das gelegentlich empfindlich reagiert, wenn man seinen Tipp ausschlägt. Mitunter kann man sich an bestimmten Schauplätzen entscheiden, ob man sich z.B. aufmacht, um Ressourcen zu sammeln, um diese bei einem fahrenden Händler gegen Gold oder andere nützliche Gegenstände eintauschen zu können. Oder aber man stärkt Eigenschaften des Teams bzw. sucht sich einen Recken gezielt heraus, um ihn auf das nächste Ritual vorzubereiten. Schade ist allerdings, dass beim prinzipiellen Ablauf (Reise, Pause, Entscheidung, Ritual) zwar inhaltlich immer wieder etwas Neues geboten wird, dass es aber innerhalb dieser Schleife zu wenig Abwechslung bzw. Überraschung gibt.
Ich sehe es allerdings ganz anders als du, ich bin immer froh wenn die Rite-Spiele vorbei sind und ich wieder dieser spannenden Geschichte lauschen kann.
Hier wäre für mich wie bei Thronebreaker eine Überspring-Funktion der "Kämpfe" einfach optimal! ^^
Juhu, jetzt auch bei GOG erhältlich.