Veröffentlicht inTests

Tabula Rasa (Rollenspiel) – Tabula Rasa

Vor gut zehn Jahren hat Richard Garriott, alias Lord British, mit Ultima Online das Fundament für ein neues Genre gegossen. Mittlerweile sind Gildenkriege, Welten voller Kriegskunst und ewige Missionen über die Spielelandschaft hergezogen und haben die Felder der Online-Rollenspiele wie Heuschrecken geleert. Und ausgerechnet jetzt meldet sich Garriott mit einem neuen Projekt zurück. Kann Tabula Rasa mit seinen teils neuen, teils konventionellen Mechaniken für frischen Wind sorgen?

© Destination Games / NCsoft

Zugegeben: Man muss sich an die Dynamik der Kämpfe gewöhnen – zumal die Zielerfassung bei Kämpfen von größeren Gruppen immer wieder dazu neigt, ausgerechnet den Gegner zu erfassen, den man gar nicht im Visier haben wollte.
Auch die derzeit auf dem einzigen europäischen Server immer wieder auftauchenden Lags des ansonsten erfreulich stabil laufenden Systems helfen dabei nicht gerade.

Doch im Kampfsystem haben Garriott, Long und Destination Games nicht nur neben dem Setting eines der wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zum üblichen MMO-Brei aufgebaut, sondern zeigen gleichzeitig auf, wo es mit den Online-

Für solche idyllischen Mondspaziergänge ist nur selten Zeit – die Action ruft!

Rollenspielen der Zukunft hingehen kann. Klar: Wer mit dem klassischen gemütlichen „Eigentlich-Runde-basierten“-System zufrieden ist, wird sich schneller von TR verabschieden, als er „WoW“ sagen kann…
Nach den jahrelangen Einheitskämpfen, die sich letztlich nur durch die Kulisse und das Gegnerdesign unterscheiden, tauche ich aber immer wieder gerne in die TR-Welten ab, um Thrax zu plätten oder die weit reichende Flora und Fauna zu erforschen.


Klonkrieger

Gelungen ist auch das Charaktersystem. Damit meine ich weniger die letztlich nur ausreichenden Möglichkeiten zur Gestaltung eures Alter Egos. Doch das Klassensystem, das alle Spieler als Rekruten mit den gleichen Grundfähigkeiten ausstattet und erst im späteren Verlauf die Spezialisierung auf acht finale Klassen mit insgesamt sechs Zwischenklassen und jeweils eigenen Fähigkeiten möglich macht, ist intuitiv und gibt euch Raum für Experimente.

Und diese Expermientierfreudigkeit wird durch eine revolutionäre Mechanik gefördert. Denn anstatt euch immer wieder durch die gleichen Niedriglevel-Monster zu schleusen, wenn ihr eine neue Klasse ausprobieren wollt, habt ihr in TR in bestimmten Momenten (so z.B. bei einem Klassenwechsel) die Gelegenheit, einen Klon anzulegen.
Dieser Klon ist quasi „unbefleckt“, sprich: Die Fähigkeiten liegen alle auf Null und ihr habt alle bis zu diesem Erfahrungsbereich gesammelten Punkte zur freien Verfügung. So könnt ihr nicht nur andere Klassen ausprobieren, sondern auch den Fokus auf andere Fähigkeiten legen, wenn euch euer aktueller Charakter nicht mehr passt.
Natürlich ist dies ein Wagnis, da sich Destination Games sicherlich bewusst ist, dass die Spielzeit, die jeder einzelne im TR-Universum verbringt, um im besten Fall acht Klassen auf Höchstlevel zu haben, deutlich geringer ist, als bei anderen Spielen.
Dennoch ist dies für mich das beste Beispiel für Service am Kunden und der Reduzierung unnötigen Grinds. Sowieso hält sich das vor allem in Fernost beliebte „Grinding“, also das nahezu stumpfsinnige Monster-Metzeln, das sich über Stunden hinziehen kann, in Grenzen. Einen Großteil der Erfahrung, die nötig ist, um die nächsten Stufen zu erreichen, bekommt man über Missionen. In höheren Erfahrungsstufen muss man natürlich auch immer mehr Gegner erlegen und weiter zu kommen und natürlich hilft auch hier der Zusammenschluss mit einer Gruppe, verhältnismäßig schnell und gut vorwärts zu kommen.
Doch unter dem Strich habe ich nur höchst selten ein Grindgefühl gehabt, wie man es z.B. als Heilerklasse in Dark Age of Camelot kennen lernt.

Irgendwann kommt doch das klassische Online-Rollenspiel durch. Auch in der Zukunft sind Nahkämpfer gefragt!

Ebenfalls löblich: Obwohl es in einer Gruppe bzw. in einem Clan natürlich leichter ist, sich von Stufe zu Stufe zu hangeln, kann man TR auch solo spielen und wird gut unterhalten. Das kommt mir als notorischem „Ich will mich keinen Clan-Zwängen unterwerfen“-Zocker und „Zu unmöglichen Zeiten-Gamer“ entgegen.
Auch wenn dies dem Kernprinzip des MMO widerspricht: Es gibt keinen Titel in diesem Bereich, der sich so gut sowohl für Einzelspieler als auch für kleinere Sessions und damit für ein unterhaltsames Spielchen zwischendurch eignet. 

Logos-Flut

In der Welt sind überall die so genannten Logos-Schreine versteckt. Meditiert man an ihnen, erlernt man das entsprechende Logos. Diese hyroglyphen-ähnlichen Zeichen sind nicht nur wichtig, um die Sprache der Eloh zu erlernen, sondern sind für den Fortschritt eurer Fähigkeiten imminent wichtig. Denn erst über Logos lassen sich bestimmte Eigenschaften freischalten, selbst wenn ihr von der Klasse eigentlich darauf zugreifen könntet. Nehmen wir z.B. die aktive Kampfeigenschaft „Bodycheck“. Diese könnt ihr erst erlernen, wenn ihr die Logos für „Selbst“, „Projektil“ und „Angreifen“ gefunden habt. 
Leider ist dies im Wesentlichen der einzige Vorteil und vor allem der einzige Berechtigungsgrund, dass Logos im Spiel enthalten sind. Natürlich ist das Finden der Logos-Tafeln ein wesentlicher Bestandteil der Queststruktur, die aber weitaus mehr zu bieten hat. Damit meinen wir nicht die obligatorischen Hol- und Bring-Dienste oder das Erlegen von soundsoviel Monstern oder Gegnern einer bestimmten Art – das gibt es natürlich auch. Doch Tabula Rasa gehört auch hier zu den löblichen Ausnahmen und bemüht sich, zumindest von Zeit zu Zeit Abwechslung in den sonst drögen Quest-Alltag zu bringen.