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Mass Effect (Rollenspiel) – Mass Effect

Kann BioWare ohne die Macht von Star Wars im Rücken futuristisch begeistern? Mit Jade Empire haben die Kanadier bewiesen, dass sie auch ohne Lizenz das Flair exotischer Kulturen einfangen können. Mass Effect ist allerdings ein ganz anderes Kaliber. Hier soll ein episches Rollenspiel in einem neuen Universum stattfinden – inklusive filmreifer Präsentation, lebendiger Dialoge und moralischer Konflikte. Jetzt auch auf PC.

© Bioware / Microsoft

Faszinierendes futuristisches Flair

Das Feindbild ist von Beginn an klar: Der Turianer Saren mimt den machthungrigen Antagonisten. Schon in der ersten Mission zeigt er sein skrupelloses Gesicht… (360)

Denn vor dieser Ernüchterung, die sich erst nach dem Durchspielen einstellt, steht eindeutig die Begeisterung. Ein paar Fetzen davon begegnen einem schon in der ersten Mission: Da ist die angenehm sphärische Musik, die eher auf elektronische statt orchestrale Elemente setzt und damit fast an Bladerunner erinnert, da ist das Salutieren der Besatzung, da sind diese fotorealistischen Gesichter, da ist der majestätische Anflug der Normandy auf die Citadel, die Hauptstadt des Universums mit ihrem gigantischen Mutterschiff – schon hier spürt man die epische Kraft des Spiels. Und da ist das erste Auftauchen des feindlichen Flaggschiffs Souverain, die wie eine Klaue durch den Himmel greift, umzuckt von Blitzen und dunklen Wolken – schon hier spürt man die dramaturgische Kraft des Spiels. Da geschieht in einer der vielen Zwischensequenzen ein hinterhältiger Mord, man kämpft sich gegen Robotertruppen bis zu einem außerirdischen Sender vor, verliert einen Mann, rettet eine Frau und plötzlich wird man von schrecklichen Visionen heimgesucht – schon hier spürt man den starken, aber leider auch unheimlich geradlinigen Plot.

Die kontroversen Gespräche sind das Salz in der galaktischen Suppe: Immer wieder werdet ihr in moralische Konflikte gestürzt, immer wieder müsst ihr euch entscheiden. (PC)

Es ist weniger die Story als vielmehr die Brisanz der einzelnen Situationen sowie die Macht der Entscheidung, die Mass Effect so faszinierend macht. Man nehme die Liebe: Spielt ihr einen Mann, bemerkt ihr innerhalb des Abenteuers, dass ihr eine Beziehung zu einer menschlichen und außerirdischen Frau aufbauen könnt. BioWare geht hier sehr behutsam vor, bestraft euch, wenn ihr zu forsch seid, bringt Eifersucht und Zickereien ins Spiel, zwingt euch zur Geduld und zum Einfühlungsvermögen, bevor man sich schließlich für eine Lady entscheiden darf, um sich in einer Nacht vor dem Finale endlich zu vereinigen – ich empfehle wärmstens die außerirdische Mischung aus platonischer und körperlicher Liebe. Aber Vorsicht: Man kann es sich auch mit beiden verscherzen.

Oder nehmen wir Nationalismus und Rassismus: Irgendwann werdet ihr von Charles Saracino angesprochen, der zur „Trockenlandpartei“ der Menschen gehört. Sein Credo lautet: „Erst die Erde“ oder „Kein Blut für Aliens“. Ihr könnt euch für ihn entscheiden oder gegen ihn. Das Geniale an diesem Dialog ist die Tatsache, dass eure außerirdischen Freunde ganz unterschiedlich auf diesen fanatischen Menschen reagieren: Ist z.B. der Kroganer Wrex in eurer Gruppe dabei, dann lobt er

Eure Befehle und Antworten entscheiden nicht selten über Leben und Tod – selbst ein Völkermord wird nicht nur thematisiert, sondern von euch abhängen. (360)
diesen „couragierten“ Mann, der endlich mal die Schwäche der menschlichen Rasse ablegt. Aber als Wrex dann von eben diesem zu hören bekommt, dass die Meinung eines Aliens nicht interessiert, wird er richtig sauer und zückt fast die Waffe – hier kommt nicht nur richtig Stimmung auf, hier zeigt BioWare alle Facetten dieser Problematik und relativiert mal eben die Moral!

Auch Drogen sind im Spiel: Ein Außenpolitiker der Menschen braucht für die nächste Verhandlung unbedingt verbotene Mittel, damit er fit ist und für die Menschen alles rausholen kann. Er bittet euch, ihm zum Wohle eures Volkes zu helfen. Was tut ihr? Letztlich könnt ihr ihn mit Argumenten von seiner Sucht überzeugen, ihr könnt ihn zusammen stauchen und sogar mit der Waffe bedrohen. Besonders unterhaltsam sind die Entscheidungen, die über Tod und Leben bestimmen können: Soll sich ein Offizier in das Büro des Botschafters schleichen und dort stehlen oder sich an Wachen vorbei direkt zum Ziel begeben? Und ganz ohne Lexikon und Tagebuch sorgen auch Art & Design sofort für ein futuristisches Flair: Die eng geschnittenen Uniformen und sauberen Flure erinnern an die klinische Welt von Star Trek, die Scharfschützen, Dronen und Verwüster der Geth erinnern an die Kampfdroiden aus Star Wars.